Ein ganzes Leben lang
nur Menschen begegnen
die nicht verstanden
was wichtig war.
2022/06/16
Ein ganzes Leben lang
nur Menschen begegnen
die nicht verstanden
was wichtig war.
2022/06/16
Kennst Du das, wenn man das Gefühl hat, dass man sich das Leben eigentlich ganz anders vorgestellt hatte, aber das schon so lange her ist, dass man gar nicht mehr weiß, wie? Und dabei scheint nur eines gewiss: jedes Leben, nur ausgerechnet dieses, das man nun hat, nicht. Und manchmal da glaube ich, dass ich noch immer nicht verstanden habe, dass es tatsächlich meines ist. So, als müsste ich mich davon distanzieren. Vielleicht, weil es weh tut; vielleicht, weil es anders noch unerträglicher wäre.
2022/06/16
Vor wenigen Tagen saß ich mit jemandem auf einer Bank, zu unseren Füßen die Altstadt im Abendlicht, ein Weinberg davor. Ich sah nach vorne, sie saß mir etwas zugeneigt an meiner Seite. Ich sagte etwas, sie lachte darüber. Plötzlich streckte sie ihren Arm aus, legte ihre Hand für einen Moment auf meine Schulter. Nur den Bruchteil einer Sekunde, dennoch lange genug. Es schient nicht geplant, vielmehr aus ihrem Inneren zu kommen. Es erinnerte mich daran, dass sie sich, als wir uns vor Jahren einmal voneinander verabschiedeten, gerade voreinander standen, plötzlich auf ihre Zehenspitzen stellte und mir einen Kuss auf den Hals drückte. Verwundert, fragte ich mich, mehr, als was das nun für mich und uns zu bedeuten habe, woher sie das nur nehme, diese innerste Geste, die sie zu haben und mir dagegen zu fehlen schien.
2022/06/14
(nur den Fehler …
Der Sommerabendwind fährt mir sanft durch die Haare, streift meine Arme. Ich schließe die Augen, denke dabei, dass das ganze Leben Abschied ist, ich aber doch von manchem Sonnenuntergang länger hatte Abschied nehmen können, als von den Menschen, die mir einst am Herzen lagen. Andererseits schien so vieles davon über Jahre in mir weiterzubestehen; und damit war ich selbst vielleicht der einzige wirkliche Abschied. Einer, der ein Leben lang andauerte.
Noch immer streife ich manchmal, wenn ich etwas verloren und alleine dahingehe, im Vorbeigehen über das, was dann an meiner Seite liegt. Ganz gleich, ob ein altes Gemäuer, eine verwitterte Bank oder das hohe Grass einer Wiese. Alles, das nicht Mensch ist. Ich streife mit den Fingern darüber, zerreibe sachte die Samen eines Halmes, die morsche Rinde eines Baumes zwischen meinen Fingerspitzen. Wenn ich das früher getan habe, wollte ich …
Hell leuchtet der Vollmond zu mir herein. Wieder einmal. Ich erinnere mich; ganz genau wie im vergangenen Jahr. Ich bin nicht mehr, oder minder einsam. Alles ist gleich, alles bleibt gleich. Und doch ist’s der einsamste Sommer meines Lebens. Er wirft Licht und Schatten auf mich, und mein Bett. Mondlicht. Schließlich, spät in der Nacht, ein Sommergewitter. Erst der Donner, dann Regen. Erlösung. Bis ich aufwache.
Wenn ich mir bewusst mache, dass bereits fünf Jahre vergangen sind, seit wir in trauter Zweisamkeit gemeinsam durch Sommerabende spazierten, ich nun den sechsten Sommer in Folge schon alleine bin, weil sie alle längst nicht mehr sind, sie die Welt nicht mehr ertragen und mich hier als letzten zurückgelassen haben, denke ich mir, dass es ein beschissener Segen sein muss, selbst nicht mehr aufzuwachen.
2022/06/12
Manchmal geschieht etwas mit mir. Ich bleibe stehen, will träumen, gerade hier an diesem Ort, der zum Träumen einlädt wie kein Zweiter, doch sinke ich stattdessen in mich hinab, bin mir plötzlich viel zu nahe. Vielleicht gilt es immer in Bewegung zu bleiben, der Wunsch nach einem wirklichen Stillstehen in Wahrheit nur ein Traum. Vielleicht der älteste aller Träume. Nicht, dass es in meinem Inneren dann besonders arg wäre; nur unendlich grau und unbedeutend. Unter ewig gleichem Himmel scheint plötzlich alles, das ich sagte, sagen könnte und sagen werde, überflüssig, keiner Mühe wert. Stattdessen schweige ich, denn ich wollte nicht das Geringste davon jemandem zumuten, am liebsten nicht einmal mir selbst. In diesem Gefühl von Überdruss, frage ich mich, ob Worte an jemanden zu richten, nicht vielleicht doch nur eine ungemein schlechte Angewohnheit ist, zu der ein Mangel an Selbstreflektion …
Vielleicht wäre ein Leben an meiner Seite nicht das Schlechteste gewesen, geht mir beim Aufbruch durch den Kopf. Ich hätte zumindest gewusst, wo’s still und schön ist, in und auf der Welt. Dafür hatte ich immer ein gutes Händchen.
Frühmorgens radle ich einige Kilometer zum See, streife mir dort angekommen die Kleider vom Leib. Ich zögere nicht lange, steige hinein ins klare Wasser, lasse mich mit einem lauten Prusten hineinfallen. Spiegelglatt und verlassen liegt er vor mir, umgeben von dichtem Wald, tiefblauer Himmel und vereinzelte Schönwetterwolken darüber. Das Wasser ist kalt, mein Herz pocht. Schön ist es hier, wunderschön sogar. Ich muss lächeln, überlege kurz, wage mich schließlich an die Durchquerung, vom einen zum anderen Ufer. Bei einem Krampf würde ich wohl sang und klanglos darin verschwinden, tief und einsam wie’s hier ist. Zurück am sicheren Ufer steige ich auf …
Menschen wie ich – sind in dieser Welt auf immer einsam.
Unser Schicksal ist es – geboren worden zu sein.
Unsere Einsamkeit findet ihr Ende – wenn wir das Atmen aufgeben.
Wir leben, und sterben – durch unsere eigene Hand.
2022/06/02
Der Wunsch, nicht mehr aufzuwachen, und länger am Leben zu sein, ist zutiefst befremdlich; wäre ich doch nicht einmal dazu in der Lage, es zu fühlen, wenn es mir schließlich gelänge. Und doch ist er mir inniger, als alles andere. Ich schlafe ein mit ihm; und ich wache an seiner Seite auf.
2022/05/30
Ich musste heute an Worte denken, die ich schon im letzten Sommer geschrieben hatte. Dass der einsamste Ort der Welt überall dort ist, wo ich selbst bin. Ich habe mehr oder weniger sturmfrei die Tage. Für die meisten in meinem Alter dürfte das längst normal sein; leben sie ohnehin alleine oder mit ihrem jeweiligen Partner zusammen. Mich selbst erinnert’s daran, dass ich nicht einmal jemanden kenne, den ich einladen könnte. Schön hätten sie sein können, diese Tage. Und glücklich. Meine Lieblingsorte hätte ich preisgegeben, ein Eis hätten wir in der Sonne im Schlosscafé genossen, Sonnenuntergänge angesehen, Zuhause lecker gekocht, miteinander eingeschlafen, Brötchen hätte ich am frühen Morgen geholt. Stattdessen hangle ich mich durch die Tage; bemüht, dass ich mir nicht zu sehr wünsche, sie würden einfach nur vorübergehen wie das ganze Leben. Aber nein, eine einsamere Welt als diese dürfte …