Was ließ mich glauben, dass wir uns ein Leben lang kennen würden, wenn es uns doch nicht einmal von der einen in die andere Jahreszeit zu tragen vermochte?
2023/01/27
Was ließ mich glauben, dass wir uns ein Leben lang kennen würden, wenn es uns doch nicht einmal von der einen in die andere Jahreszeit zu tragen vermochte?
2023/01/27
Die ersten Schritte im frisch gefallenen Schnee enttäuschen nicht, haben auch mit der Zeit nichts ihres ursprünglichen Zaubers eingebüßt, vielleicht sogar von Jahr zu Jahr, mit jeder Einsamkeit, ein wenig dazugewonnen, während außen herum nahezu alles andere an Glanz verlor. Und auch wenn ich mir geschworen hatte, keine Spuren zu hinterlassen, die ein anderer sehen könnte, sind meine Schritte im Schnee vielleicht die einzige Ausnahme, die ich mir zugestehe, werden sie doch kaum lange genug bestehen bleiben, um entdeckt zu werden, sind sie doch ebenso vergänglich und anonym, wie schon mein ganzes Dasein.
Ich grüble manchmal, wem ich schreiben könnte, gerade an einem verschneiten Wintermorgen wie dem heutigen, doch will mir niemand einfallen, gleich wie viele Jahre meiner Vergangenheit ich durchforste. Vielleicht ist es ein Segen, dass wir uns nicht länger begegnen, würde ich mich doch andernfalls an meine Verfehlungen …
Heute Morgen bin ich aufgewacht und habe in den Himmel hinausgesehen. Es war kalt, auch mit einer Decke um den Schultern, und mein Atem hinterließ kleine Wölkchen in der Luft. Der Himmel nachtblau, hell der einsame Sichelmond darin. Und ich habe ein wenig geweint, um Dich. Weil ich nicht weiß, wo Du liegst, und kein Grab kenne, in dem Du ruhst, habe ich mir den Sichelmond dafür ausgesucht. Gestorben bist Du still, auf einem Schlachtfeld, das außer mir keiner sehen konnte. Aufgestiegen bist Du, hast Dich ganz wie die anderen aufgelöst. Kein Blut, kein Laut, nur die Tränen derer, die es mitansehen mussten. Ob wir es sind, die nicht zurückgeblieben, sondern immer schon dagewesen waren? Wir, die wir sehen konnten, weil wir einsam waren?
2023/01/17
Ganz zu Beginn war die Einsamkeit; und nichts auf der Welt wird mich je hinter sie blicken lassen. Jeden Schritt, den ich wage, führt doch nur zu ihr zurück und niemals darüber hinaus. Einsam zu sein, heißt als Toter wiedergeboren zu werden.
Ich denke manchmal darüber nach, mit welcher Präzision mein Leben Stück für Stück auseinandergefallen ist; zumindest das, was ich einmal als mein Leben wahrgenommen und für lebenswert gehalten hatte. Doch wenn ich heute daran zurückdenke, verstehe ich, dass all das eigentlich schon viel früher begonnen hatte. Nur gesehen, gesehen hatte ich es damals noch nicht. Und obwohl es schmerzt, und ich nichts daran ändern konnte und auch heute nicht kann, bin ich doch nicht ohne Faszination darüber, wie geradlinig alles verlaufen war. Es schien mir, so als würde auf dem Weg nach unten alles ineinandergreifen. Und wenn ich …
Ich war einsam, als das Jahr begonnen hatte; und ich war einsam, als das Jahr vorübergegangen war. Dazwischen bin ich unterwegs gewesen. Zunächst im Süden, dann im Norden, ein wenig später erneut im Norden und zuletzt auch immer wieder ein wenig in meinem Heimatland. Mehr als dreißigtausend Kilometer fuhr ich auf eigene Faust durch Welt und Leben, war auch auf Streifzügen hunderte Kilometer unterwegs. Ich lernte zwei Menschen kennen, doch davon blieb nichts. Auch einer früheren Bekannten, von der ich lange nichts vernommen hatte, schrieb ich. Sie gab zu verstehen, dass ich nichts bedeute, doch schmerzte mehr, dass nichts von ihr übriggeblieben schien. Solange ich unterwegs war, fühlte ich mich aufgehoben – andernfalls verloren. An jemandes Seite verweilte ich ebenso wenig wie in den vorangegangenen Jahren, doch dafür erneut an dutzend verschiedenen Orten. Wenn ich zurückdenke war ich vor allem …
Wenn ich an den Sommer zurückdenke (es ist zweifelsohne Herbst geworden, die Temperatur erstmals unter fünf Grad gesunken, Regen hier unten und sogar etwas Schnee auf den nahen Bergen) erinnere ich mich vor allem an meine ausgedehnten Spaziergänge, die in diesem Jahr irgendwie anders gewesen waren. Vereinzelt war ich auch mit einem Bekannten unterwegs, doch der Sommer blieb, wie in den vorangegangenen Jahren, ein weiterer einsamster Sommer meines Lebens. In Erinnerung geblieben sind mir weniger die Streifzüge in der Früh, als vor allem jene an den Sommerabenden. Ich weiß nicht genau wieso, aber ich hatte mich nicht länger an der Hitze gestört, sie stattdessen angenommen, mich vielleicht sogar darin lebendig gefühlt. Vor allem dann, wenn ein Wind aufgekommen war und mich wieder trocknete. An einem dieser Abende, einer der heißesten des Sommers, hing alles wie unter einer Glocke, vielleicht sogar …
Wenn ich Gäste habe, Gäste die auch mal, wenn am Abend keine Bahn mehr fährt, kein Flug mehr geht, über Nacht bleiben, ich die Couch zum Schlafen herrichte und am nächsten Morgen, gleich wie spät es am Vorabend geworden war, als erster aufwache und leise in die Küche hinübergehe um niemanden zu stören, setze ich mich an dem kleinen Tisch. Dort sehe ich dann etwas verträumt zum Fenster hinaus, freue mich vielleicht noch ein wenig daran, dass ich Besuch habe und vielleicht auch ein wenig darauf, später wieder alleine sein zu können. Weil oft noch Brötchen vom Vortag übriggeblieben sind, besprenkle ich sie ein wenig mit Wasser und gebe sie für einen Moment in den Ofen, wie meine Großmutter das früher immer schon getan hatte. Dann, wenn wir Kinder bei ihr zu Besuch und über Nacht geblieben waren und keiner …
Die Stadt im Rücken, den Blick in die Ferne gerichtet, ziehe ich wieder und wieder los. Nicht in sie hinein, stattdessen fort von ihr, fort von hier. Erst spät am Abend kehre ich heim, sehe in der Dämmerung wieder zum Fenster hinaus, lauschte einsam den letzten Geräuschen ihrer Bewohner, fernen Zügen, meinem Herzschlag. Nur für die Nacht bin ich zurückgekehrt, bin zuhause hier. Nicht zum Leben, sondern zum Träumen.
Schön hatte ich mir das ausgemalt, den Sommer über in die Stadt zu ziehen. Die Gewissheit zu verspüren, dass sie damit nicht länger fern ist, wenn ich sie denn bräuchte. Dass ich, wenn ich nun ihrem Äußeren leben würde, dort, wo der Blick in die Ferne noch nicht gänzlich verstellt ist und ich das städtische Schauspiel im Hintergrund ahne, jederzeit die letzten Schritte in sie hineingehen könnte. Hinein unter Menschen. Immer …
Im Winter vor zwei Jahren hatte ich manchmal etwas außerhalb des einen oder anderen Dorfes übernachtet. Manchmal auch am Wald; doch die Übernachtungen in Sichtweite sind mir vor allem in Erinnerung geblieben. Es hatte Schnee damals; und es war ziemlich kalt. Ich hatte mich dabei nicht sonderlich einsam gefühlt, zumindest weniger als jetzt. Aber wenn ich mich heute daran erinnere, denke ich mir, dass es eigentlich furchtbar einsam schien. Vielleicht, weil es so kalt und abgeschieden war. Vielleicht war es aber auch ausgerechnet die Kälte, die jeden Gedanken, jedes andere Gefühl davongeschoben hatte. Und auch wenn es nur eine Handvoll solcher Nächte waren, bin ich mir sicher, dass sie mich sehr veränderten.
2022/09/07
Es ist nicht so, dass ich nicht gelebt hätte. Ich habe mein Leben einfach außenherum aufgebaut. So gut, wie mir das eben gelungen war.
Vielleicht ist es einzig eine Frage der Perspektive; und dieses Maß an Gleichgültigkeit in Wahrheit großartig. Aber es stimmt schon, Menschen wie ich leben und sterben alleine.
2022/06/30