Fünf Jahre. Heute sind es fünf Jahre Einsamkeit.
2023/04/22
(Wie hast Du ihn verbracht, diesen Tag? Genau so, wie all die anderen Tage auch.)
Fünf Jahre. Heute sind es fünf Jahre Einsamkeit.
2023/04/22
(Wie hast Du ihn verbracht, diesen Tag? Genau so, wie all die anderen Tage auch.)
Ist es möglich ein ganzes Leben gelebt zu haben, ohne je gemocht worden zu sein?
Irgendwann wachst Du auf und merkst, dass von Deinem früheren Leben niemand mehr übriggeblieben ist. Du bist nicht fünfundsechzig, sondern fünfundzwanzig oder kaum dreißig Jahre alt. Wer da einst war, ist nicht verstorben, sondern einfach nur fort; doch das Ergebnis ist das gleiche – mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass sie nicht von einer bösen Macht aus Deinem Leben gerissen wurden, sondern aus freien Stücken aufgebrochen waren. Wenn Du zum privilegierten Teil gehörst, ist all das unerheblich, denn Dein Weg wird mal von diesem oder jenem Menschen gesäumt sein; wenn nicht, hast Du Pech und wirst auch mit fünfundsechzig Jahren kein anderes Fazit ziehen können: Du warst alleine. Und weißt Du was das Schlimmste daran ist? All das wird immer zwischen Dir und Deinen …
Wir schrieben einander, bis wir uns kannten; und als wir es taten, bis wir uns neuerfanden. Dann, als wir beide und ein jeder für sich zu einem anderen geworden war, noch ein letztes Mal, auf dass wir uns wieder verloren. Dann aber haben wir geschwiegen.
Als wir uns kennenlernten, galt, ganz ohne, dass wir es je besprochen hätten, ein munteres Hin und Her aus Fragen und Antworten zwischen uns, gleich einem Spielball, den wir uns solange zuwerfen würden, bis alles über uns gesagt und alles erfahren wäre. Wenn ich am Abend zu Bett ging, hallte in mir nach, was ich zuletzt gelesen und beantwortet hatte; und ich schlief mit der Gewissheit ein, dass ich am kommenden Morgen, wenn ich aufstehen und mich müde zur Uni schleppen würde, schon eine neue Nachricht zu all meinen Fragen vorfände. Wenn es dann früh …
Was ließ mich glauben, dass wir uns ein Leben lang kennen würden, wenn es uns doch nicht einmal von der einen in die andere Jahreszeit zu tragen vermochte?
2023/01/27
Die ersten Schritte im frisch gefallenen Schnee enttäuschen nicht, haben auch mit der Zeit nichts ihres ursprünglichen Zaubers eingebüßt, vielleicht sogar von Jahr zu Jahr, mit jeder Einsamkeit, ein wenig dazugewonnen, während außen herum nahezu alles andere an Glanz verlor. Und auch wenn ich mir geschworen hatte, keine Spuren zu hinterlassen, die ein anderer sehen könnte, sind meine Schritte im Schnee vielleicht die einzige Ausnahme, die ich mir zugestehe, werden sie kaum lange genug bestehen bleiben, um entdeckt zu werden, sind sie doch ebenso vergänglich und anonym wie schon mein ganzes Dasein.
Ich grüble manchmal, wem ich schreiben könnte, gerade an einem verschneiten Wintermorgen wie dem heutigen, doch will mir niemand einfallen, gleich wie viele Jahre meiner Vergangenheit ich durchforste. Vielleicht ist es ein Segen, dass wir uns nicht länger begegnen, würde ich mich doch andernfalls an meine Verfehlungen erinnert …
Die Individualität ist tot; es lebe der Konformismus.
Heute Morgen bin ich aufgewacht und habe in den Himmel hinausgesehen. Es war kalt, auch mit einer Decke um den Schultern, und mein Atem hinterließ kleine Wölkchen in der Luft. Der Himmel nachtblau, hell der einsame Sichelmond darin. Und ich habe ein wenig geweint, um Dich. Weil ich nicht weiß, wo Du liegst, und kein Grab kenne, in dem Du ruhst, habe ich mir den Sichelmond dafür ausgesucht. Gestorben bist Du still, auf einem Schlachtfeld, das außer mir keiner sehen konnte. Aufgestiegen bist Du, hast Dich ganz wie die anderen aufgelöst. Kein Blut, kein Laut, nur die Tränen derer, die es mitansehen mussten. Ob wir es sind, die nicht zurückgeblieben, sondern immer schon dagewesen waren? Wir, die wir sehen konnten, weil wir einsam waren?
2023/01/17
Ganz zu Beginn war die Einsamkeit; und nichts auf der Welt wird mich je hinter sie blicken lassen. Jeden Schritt, den ich wage, führt doch nur zu ihr zurück und niemals darüber hinaus. Einsam zu sein, heißt als Toter wiedergeboren zu werden.
Ich denke manchmal darüber nach, mit welcher Präzision mein Leben Stück für Stück auseinandergefallen ist; zumindest das, was ich einmal als mein Leben wahrgenommen und für lebenswert gehalten hatte. Doch wenn ich heute daran zurückdenke, verstehe ich, dass all das eigentlich schon viel früher begonnen hatte. Nur gesehen, gesehen hatte ich es damals noch nicht. Und obwohl es schmerzt, und ich nichts daran ändern konnte und auch heute nicht kann, bin ich doch nicht ohne Faszination darüber, wie geradlinig alles verlaufen war. Es schien mir, so als würde auf dem Weg nach unten alles ineinandergreifen. Und wenn ich …
Ich war einsam, als das Jahr begonnen hatte; und ich war einsam, als das Jahr vorübergegangen war. Dazwischen bin ich unterwegs gewesen. Zunächst im Süden, dann im Norden, ein wenig später erneut im Norden und zuletzt auch immer wieder ein wenig in meinem Heimatland. Mehr als dreißigtausend Kilometer fuhr ich auf eigene Faust durch Welt und Leben, war auch auf Streifzügen hunderte Kilometer unterwegs. Ich lernte zwei Menschen kennen, doch davon blieb nichts. Auch einer früheren Bekannten, von der ich lange nichts vernommen hatte, schrieb ich. Sie gab zu verstehen, dass ich nichts bedeute, doch schmerzte mehr, dass nichts von ihr übriggeblieben schien. Solange ich unterwegs war, fühlte ich mich aufgehoben – andernfalls verloren. An jemandes Seite verweilte ich ebenso wenig wie in den vorangegangenen Jahren, doch dafür erneut an dutzend verschiedenen Orten. Wenn ich zurückdenke war ich vor allem …
Wenn ich an den Sommer zurückdenke (es ist zweifelsohne Herbst geworden, die Temperatur erstmals unter fünf Grad gesunken, Regen hier unten und sogar etwas Schnee auf den nahen Bergen) erinnere ich mich vor allem an meine ausgedehnten Spaziergänge, die in diesem Jahr irgendwie anders gewesen waren. Vereinzelt war ich auch mit einem Bekannten unterwegs, doch der Sommer blieb, wie in den vorangegangenen Jahren, ein weiterer einsamster Sommer meines Lebens. In Erinnerung geblieben sind mir weniger die Streifzüge in der Früh, als vor allem jene an den Sommerabenden. Ich weiß nicht genau wieso, aber ich hatte mich nicht länger an der Hitze gestört, sie stattdessen angenommen, mich vielleicht sogar darin lebendig gefühlt. Vor allem dann, wenn ein Wind aufgekommen war und mich wieder trocknete. An einem dieser Abende, einer der heißesten des Sommers, hing alles wie unter einer Glocke, vielleicht sogar …
Wenn ich Gäste habe, Gäste die auch mal, wenn am Abend keine Bahn mehr fährt, kein Flug mehr geht, über Nacht bleiben, ich die Couch zum Schlafen herrichte und am nächsten Morgen, gleich wie spät es am Vorabend geworden war, als erster aufwache und leise in die Küche hinübergehe um niemanden zu stören, setze ich mich an dem kleinen Tisch. Dort sehe ich dann etwas verträumt zum Fenster hinaus, freue mich vielleicht noch ein wenig daran, dass ich Besuch habe und vielleicht auch ein wenig darauf, später wieder alleine sein zu können. Weil oft noch Brötchen vom Vortag übriggeblieben sind, besprenkle ich sie ein wenig mit Wasser und gebe sie für einen Moment in den Ofen, wie meine Großmutter das früher immer schon getan hatte. Dann, wenn wir Kinder bei ihr zu Besuch und über Nacht geblieben waren und keiner …