Wenn ich Gäste habe, Gäste die auch mal, wenn am Abend keine Bahn mehr fährt, kein Flug mehr geht, über Nacht bleiben, ich die Couch zum Schlafen herrichte und am nächsten Morgen, gleich wie spät es am Vorabend geworden war, als erster aufwache und leise in die Küche hinübergehe um niemanden zu stören, setze ich mich an dem kleinen Tisch. Dort sehe ich dann etwas verträumt zum Fenster hinaus, freue mich vielleicht noch ein wenig daran, dass ich Besuch habe und vielleicht auch ein wenig darauf, später wieder alleine sein zu können. Weil oft noch Brötchen vom Vortag übriggeblieben sind, besprenkle ich sie ein wenig mit Wasser und gebe sie für einen Moment in den Ofen, wie meine Großmutter das früher immer schon getan hatte. Dann, wenn wir Kinder bei ihr zu Besuch und über Nacht geblieben waren und keiner von uns zum Bäcker gehen wollte, wir aber vielleicht auch gar nicht gedurft hätten, solange noch etwas im Haus war. Ich koche Kaffee, vielleicht auch ein paar Eier, und decke gemächlich den Tisch mit dem, was ich für unser Frühstück sonst noch auffinden kann. Irgendwann geht die Küchentür dann einen Spalt weit auf, ein Kopf schaut zu mir herein, noch ganz verschlafen und nicht selten etwas von Kaffee murmelnd, dessen Duft man erahnt hätte. Wir frühstücken, unterhalten uns noch ein wenig, manchmal an das Gespräch vom letzten Abend anknüpfend.
Eines Morgens sagte dann mal jemand, dass die Brötchen genau wie bei der Oma schmecken würden, sie das auch immer getan hätte, damit sie wieder schön knusprig würden. Wir lachten, und begannen uns über die seltsamen Angewohnheiten und Marotten unserer Familien auszutauschen. Schnell fanden wir heraus, dass es Gemeinsamkeiten gab, als hätte es diese zwischen jeder Familie der damaligen Zeit gegeben. Seltsamerweise ganz ohne, dass über diese geredet oder sie sonst irgendwie ausgetauscht worden wären, noch dass es für die meisten davon einen rationalen Grund gegeben hätte. Nicht immer aber oft ging es ums Essen. Dass es zum Beispiel nie einen Guss für den Kuchen gab, allenfalls etwas Puderzucker, denn der Kuchen sei ja bereits süß. Süß genug, meinten sie, die Erwachsenen, aber sagten es nicht. Dass es, zum Mittag, immer nur eine gute Sache, nie aber zwei zusammen gab. Manchmal, nicht besonders häufig, gab es dann etwa ein Schnitzel mit Kartoffeln; oder, ganz ganz selten, Pommes mit wer weiß was, nie aber Schnitzel und Pommes zusammen. Jedem Gericht hatte immer gefehlt, was dazugehört und es für uns Kinder hätte perfekt werden lassen. Eben so, wie wir es uns vorgestellt und gewünscht hatten. Und genug, bis man wirklich satt geworden wäre, vielleicht auch mal ein wenig zu satt, hatte es auch nie gegeben. Alles hatte immer aufgeteilt, eingeteilt und verteilt werden müssen. Und eigentlich, eigentlich hätte es gar keinen Grund dafür gegeben. Unsere Generation hätte es sich, solange wie eben möglich, gut gehen lassen können. Und uns war es natürlich auch gut gegangen, keine Frage, doch trotzdem schien es nie genug zu geben. Und irgendwie, so schlossen wir dann unser Gespräch, ich derweil meinen Gast noch zur Tür oder vielleicht sogar zum Bahnhof begleitend, sei das ein wenig so, wie das Leben gewesen. Von allem ein wenig, aber nie genug von etwas. Manches aber hätte man vielleicht gerne nicht nur einmal, sondern öfter im Leben gehabt.
2022/10/11