Reflektion

Ich bin nie lange genug mit jemandem bekannt gewesen, als dass wir gemeinsam einen Jahrestag hätten feiern können. Stattdessen erinnerte ich mich alleine – eben an jenen Tag, an dem wir uns einst kennengelernt, oder wenigstens das letzte Mal gesehen hatten. Wenn man so will, waren es nie Jahrestage des Miteinanders, sondern des Aus- und Ferneinanders gewesen. Mir schien das aber nichtsdestotrotz immer wichtig. Wichtig, vielleicht um die Dinge, und das Leben, einordnen zu können.

2021/06/30

(Sie schrieb einmal, dass sie die Gespräche mit mir vermissen würde. Kann das wirklich alles sein, das ihr fehlt, nach all dem, das wir miteinander hatten?, fragte ich mich da. Und ich entgegnete, dass sie wirklich gut daran getan hatte, Abstand von uns zu nehmen, wenn ihr tatsächlich nicht mehr von uns in Erinnerung geblieben war.)

Sonnenwende. Heute Morgen noch hatte ich einen Brief mit dem heutigen Datum versehen; und dabei doch vergessen, was für ein Datum das ist. Auch wenn mich die langen Tage oft bedrückten, bin ich doch nicht minder darüber unglücklich, dass die erste Hälfte des Jahres nun Vergangenheit ist. Ich begreife dann, dass ich tatsächlich ein weiteres halbes Jahr meines Lebens alleine gewesen bin; und dass das auch so bleiben wird. Halbzeit also, doch wovon eigentlich?

2021/06/21

Vor Jahren sagte einmal ein Mensch zu mir, dass ich ihm fehlen würde. Man würde mich, die Zeit und Gespräche mit mir, mein Lachen und Lächeln, meinen Geruch vermissen. Wenig später hatte mich derselbe Mensch verlassen. All das einst Gesagte hatte keine Bedeutung mehr, vielleicht nie eine gehabt. Ich hatte mich dann gefragt, wie ich je wieder einem Menschen, und seinen Worten Glauben schenken könnte, und sollte. Glücklicherweise wurde ich bis heute nicht in die Verlegenheit gebracht eine Antwort auf diese Frage zu finden.

2021/06/18

Stimmt schon, es wäre seltsam gewesen, wenn wir uns nach all den Jahren wiedergesehen hätten. Du, mit Deinem Leben unter Menschen, ich, mit meinem Leben fern von ihnen. Das mit uns, das hätte doch nie funktioniert, wäre vielleicht alles gewesen, was Du zu mir gesagt hättest. Vielleicht hättest Du auch einfach weggesehen, wie Du es schon so oft getan hattest.

Heute Morgen, unterwegs mit der Elektrischen, eine unerwartete Begegnung mit meiner Vergangenheit. Angesprochen wurde ich, eine frühere Freundin zusammen mit einem Begleiter, vielleicht dem derzeitigen Lebensgefährten. Schon so lange lebe ich nun hier und bin ihr zuvor trotzdem nie begegnet. Sie sprach mich an, und ich sah überrascht auf, hatte ich sie nicht bemerkt. Aus mir hinaus, der Musik, und flüchtigen Gedanken. Ich lächelte, zumindest für einen Moment. Wenige Worte haben wir miteinander gewechselt, nichts Besonderes. Nur das, was …

Alte Familienaufnahmen habe ich mir heute Morgen angesehen. Analog, ein Fotoalbum, Fragmente einer Kindheit darin. Meine Geschwister, einstige Nachbarskinder, frühere Freunde, die Verwandtschaft. Auf Ausflügen, großen wie kleinen. Mal ans Meer, in Wälder, an Flüssen und Seen. Glücklich sehen wir da aus, beim Picknicken, Schwimmen und Werkeln. Mit der Zeit, in der wir doch alle mehr und mehr voneinander fortgegangen sind, werden die Aufnahmen spürbar spärlicher. Ein harter Kern bleibt lange, bis es auch von diesem keine Bilder mehr gibt. Und wenn ich mir das ansehe, eine glückliche Kindheit bei der die Schatten nur im Verborgenen liegen, frage ich mich doch, wozu all das. Das stolze Fotografieren des einstigen Glücks, die Hingabe an die Kinder. Und am Ende, am Ende ist man doch nur alleine und furchtbar einsam geworden.

2021/04/05