Hast Du je einen Berg atmen,
ihn sich heben und senken sehen?
Wie ewig müssten wir sein,
das zu sehen.
Regen, so viel davon, dass selbst das Meer nicht länger salzig schmecken wollte, wir ungläubig unsere Zungen damit benetzten, doch nichts darin fanden, das uns hätte trösten oder bekannt vorkommen können. Beschämt spuckten wir es aus, den Sand und die faden Algen hintendrein, wischten uns wirsch über die Lippen und fühlten uns dabei ebenso beraubt wie betrogen. Dann, von einem auf den anderen Tag, war der Regen, der tausenden Kieselsteinen gleich unaufhörlich auf uns eindrosch, das Salz unserer Tage. Klammheimlich hatte sich alles umgedreht, war das Meer zum Himmel geworden. Ich wollte erst lachen, aus Verwirrung und Verzweiflung, doch spürte ich die Last, spürte, dass es nur wenig bräuchte, dass dort oben über unseren Köpfen etwas reiße und alles auf uns hinunterfiele, uns erdrücken oder zumindest fortreißen würde.
Und ich dachte daran, wie Du einst gefragt hattest, was mich so sicher mache, dass heute ein anderer Tag als gestern sei, was mich nur glauben ließe, dass das Meer, nach all dem Regen, noch immer salzig schmecke. Geh hin, fühle Gischt und Meeresluft auf Haut und Lippen, sagte ich. Und mit den Tagen?, fragtest Du mich mit großen Augen. Wir sind eingeschlafen – und aufgewacht, das müsse genügen, antwortete ich, doch Dich überzeugte das kaum; und mich selbst noch am allerwenigsten.
Wenn ich aufwachte und im fahlen Licht, das ich, müde wie ich jederzeit schien, nicht selten für die Dämmerung hielt, nach draußen sah, spürte ich das Meer über unseren Köpfen; und auf meinen Schultern die Last der Schiffe. Schiffe, die es ächzend darin umhertrieb, von einer zur anderen Seite warf, wie Wolken in einem Sturm. Doch kein Sturm im Wasserglas, sondern dem der Welt; und damit ungleich größer. Keinen Finger, keinen Arm hoben wir mehr an, zu groß die Angst, wir könnten „dort oben“, wie wir es erfurchtsvoll und nur flüsternd nannten, etwas zum Platzen bringen. Stattdessen gingen wir mit gesenkten Häuptern wirr umher, waren fast schon so weit die Bäume zu fällen, die Dächer unsere Häuser zu kürzen, Kirchtürme am besten besser gestern als heute einzureißen. Nur die Berge, an die konnten wir nicht heran; und wir fürchteten sie als Unheil, auch wenn wir sie nicht länger sahen, nicht, weil wir uns nicht trauten den Blick zu heben, sondern weil sie, selbst wenn wir den Mut fänden, nicht zu erkennen wären, in diesem bleiernen Dunkel aus Blau und Grau, das uns gefangen hielt. Aber gewundert, gewundert hätte es uns nicht, hätten selbst sie sich nach innen zurückgezogen, immer weiter, bis noch die tiefsten Täler als nunmehr größte Gipfel zurückgeblieben wären. Nur, anders als wir, hatten sie nichts zu befürchten. Der Zorn galt denen, die atmeten; und auch wenn Berge sich heben und senken, ist ihres doch eines der Ewigkeit.
2024/03/02