Je länger ich hier verweile, eine unbestimmte Zeit lebe, an frühen Morgen in der noch kühlen Luft umhergehe, am Tage lese und schreibe, wortlos Sonnenauf- wie Untergänge betrachte und in der Nacht schließlich alleine, nur vom Meeresrauschen und dem Lichtkegel eines fernen Leuchtturms begleitet, schlafe und träume, desto mehr verstehe ich, dass es nicht eine, sondern eigentlich zwei verschiedene Welten sind. Die, in der wir alleine sind; und die, in der wir von anderen umgeben ebenso alleine doch in unserem Alleine-sein gestört sind. Unmöglich ist es mir zu glauben, dass beides ein- und dieselbe Welt sein soll und ich weigere mich und werde mich weigern das, was ich sehe und verstehe, zu verleugnen. Vielmehr will ich nun von einer inneren, und äußeren Welt sprechen. Die innere, und das ist die, für und in der ich leben will, erkenne ich daran, dass die Zeit stillsteht, wenn ich selbst stehenbleibe. Meine eigenen, vorsichtigen Schritte in der Kühle des Küstenwaldes verstummen, von fern klingt sanft das Meer, das Blätterdacht über meinem Kopf raschelt leise im Wind, Vögel begrüßen um mich herum ebenso den Frühling wie einen neuen Tag. Ich weiß nicht, ob die innere auch ohne die äußere Welt bestehen könnte; vielleicht zeigt und entfaltet sie sich mir nur, weil ich von beiden weiß. Und doch wünschte ich mir, ob das nun klug oder naiv ist, nichts mehr als in der Welt als Einziger zu sein. Ich bin überzeugt, dass wir nur das, was wir alleine sind, wirklich sind.
Und mir gefällt sie, die Vorstellung, dass in der inneren Welt keine Zeit vergeht, noch existiert. So als wäre man, wenn man allein und fern anderer ist, zeitlos. Und vielleicht ist es tatsächlich so; solange wir nur für uns selbst sind, mag vieles mit uns und um uns herum vergehen, doch Zeit ist es nicht. Erst, wenn wir auf einen anderen treffen, gleich ob uns bekannt oder nicht, ob bewusst oder unbewusst, führen wir die Fäden der Zeit zusammen; und sie beginnt wieder voranzuschreiten. Doch bleibt die Innere davon unberührt. Wenn ich zurückkehrte, aus der Ferne, ich von der einen in die andere immigrierte, verging für mich im Bruchteil einer Sekunde all die Zeit, die ich zuvor nicht gespürt hatte, da ich, alleine mit mir selbst, nichts als Gegenwart gewesen war. Ein ums andere Mal war ich ebenso überrascht wie entsetzt, dass in meiner Abwesenheit ein ganzer Monat vergangen sein soll, hatte es sich doch nie danach angefühlt. Vielleicht wäre ich, hätte ich immer in der Ferne gelebt, ewig gewesen; und so frage ich mich, ob das der Preis ist, den wir für das Zusammensein mit anderen begleichen müssen. Dass wir das Leben, mit ihnen um uns herum, mit der eigenen Sterblichkeit erkaufen. Mein stetes Wandeln zwischen diesen beiden Welten hat mir längst jedes Zeitempfinden gestohlen; und ich könnte die Frage nach meinem Alter nicht beantworten. Nicht, weil ich nicht wollte, sondern weil ich die Antwort nicht kenne.
2022/03/06