Erst im Nahen, von Angesicht zu Angesicht, habe ich die kleine Gleichgültigkeit verstanden. Und daraufhin dann auch die Große. Die des Lebens. Es ist nämlich dieselbe, nur immer in Wiederholung. Jene, die ich in verirrten Beziehungen erfahren hatte; und die, die ich heute bei meinem Vorübergehen an Fremden empfinde.
Das Maß an Gleichgültigkeit, das wir ausgerechnet für jene empfinden, von denen wir einst vorgaben ach so vertraut miteinander zu sein, fasziniert mich. Wenn wir aneinander vorübergehen, ist es kaum anders wie mit Fremden. Andererseits, einen Fremden habe ich noch nicht gekannt. Wir grüßen uns immerhin, haben und hätten uns noch etwas zu erzählen. Wenn wir uns nichts sagen, dann nicht, weil wir nicht wollten, sondern weil es uns bewusst ist und wir den Traum daran bewahren wollen. Doch wir, die wir uns einst zu lieben behaupteten, sind uns heute fremd und doch zu bekannt, um einander auch nur mit einem Mindestmaß an Wohlwollen zu begegnen. Vor diesem Wesenszug ziehe ich aufrichtig meinen Hut. Ich glaube, ich bin nie einem größeren Lügner begegnet als dem, der von der Liebe sprach.
2022/08/01