Dass ich einen Großteil der Berge, des umliegenden Landes, nun weit unter mir habe, gibt mir ein Gefühl von Erhabenheit; dass ein Teil bleibt, der unbezwingbar vor mir aufragt, lehrt mich die Demut, die mich als Sterblicher zu verankern weiß.
Das Wandern, vielleicht oft und gerne ein wenig zu sehr romantisiert. Spätestens, wenn die Schultern vom schweren Tragen allzu arg schmerzen, der Gradient des Aufstiegs gefühlt in die Senkrechte geht oder, beim Schlafen unter freien Himmel, unerwartet ein Regenschauer erfolgt, gleicht es mitunter schnell einer Strafe. Doch, einmal angekommen, habe ich noch kaum einen Aufstieg bereut. Ich verbringe eine weitere Nacht in den Bergen, genau genommen heute sogar einmal auf einem. Knapp unterhalb des Gipfels, 3.098 m über Null soll er sein, fand ich nach kurzer Suche einen ebenen Fleck, gerade groß genug für mich. Daneben der Grat und dahinter die Tiefe. In der mir bis zum Sonnenuntergang verbleibenden Zeit errichtete ich, als Windschutz, eilig, und doch fast schon von fachmännischer Hand gelenkt, einen Steinriegel, der sich sehen lassen kann, mich sogar mit einer Spur Stolz erfüllte (ein wenig so, wie wenn wir in Kindheitstagen an Bächen kleine Stauseen errichteten). Ein Hort, der, so Gott will, den Winter überdauern und einem fernen Wanderer ebenso dienen kann, sollte einmal einer für die Nacht hierherfinden und Zuflucht suchen. Dann: den Sonnenuntergang bestaunt und fotografiert, in der Abenddämmerung eilig ein kleines Mahl zubereitet und sodann im Schlafsack zurechtgelegen. Rasch wird es frisch, die Abenddämmerung weicht langsam der Nacht, doch schon ist ein Himmel voller Sterne. Unter tausenden, wenn man so will; auch die eine oder andere Sternschnuppe ist, auf dem Rücken liegend, zu bestaunen. Ohnehin, nichts gleicht Sonnenauf- und Sonnenuntergang in den Bergen. Der Rundumblick auf das Land darunter, Gipfel, die den eigenen, mal fern, mal nah, überragen; und auch, wie Tag und Nacht so umgekehrt weichen, zuletzt und zuerst als Gradient bis zum Horizont sichtbar, geprägt von verschiedensten Farben und Helligkeiten, dem Aufleuchten und Abklingen der Wolken und Bergflanken (je nachdem, wer heute einmal tiefer ist). Das Über-fast-allem-Sein ist es. Erhaben, still, und einzigartig. Endlich habe ich das Gefühl, mir wieder gerecht geworden zu sein – hier, in den Bergen. Und ich kann verstehen, wenn das manch Seele süchtig macht; und auch, dass, einmal wieder zurück in der anderen Welt, eben alles andere falsch erscheint. Denn: es stimmt, was ich schon vor Jahren schrieb: Erinnerungen groß wie Berge, Erinnerungen, die manchmal immer weiter anwachsen, über uns und die Berge vor und unter uns hinaus, bis wir all dem – dem eigenen Leben, den Erwartungen? – nicht mehr gerecht zu werden glauben – es sei denn wir steigen auf, und auf. Doch, das ist etwas für den Morgen, denn noch bin ich (hier), weit oben und ganz alleine.
2023/10/05