Als ich Deine Worte las, habe ich mich verliebt. Es war früh am Abend, die Dämmerung hielt gerade Einzug und es dampfte nach einem heftigen Sommergewitter über den Dächern. Ich wollte nicht bleiben, in dieser Enge aus Raum und Worten, und bin auf die Straßen hinaus, in die endlose Stadt hinein. Und dort, dort habe ich jemanden kennengelernt. Das Hemd klebte ihm nass auf der Haut, den Blick hielt er gespannt in die Ferne; und erst war mir, als würde er ein weiteres Gewitter fürchten, doch wie er leicht mit den Füßen wippte, ungeduldig, fast schon fordernd, verstand ich, dass er tatsächlich hoffte, ein weiteres würde uns heimsuchen, gleich wie schwer es auch ausfallen könnte. Später in der Nacht, der Donner längst nur noch gedämpft, in der Ferne zu vernehmen, fast schon vom Regen überdeckt, hatte er mich berührt, wie Deine Worte zuvor einmal meine Gedanken. Ich habe ihm davon erzählt; und er sagte, dass das Leben nicht nur aus Worten bestünde, schon gar nicht aus denen von gestern.
Manchmal male ich mir aus, dass Du hin und wieder hier bei mir vorbeisiehst, in ruhigen, vielleicht nachdenklichen Minuten die eine oder andere Zeile liest. Vielleicht ist es Auszeichnung genug, wenn Du Dich in einem Gedanken wiedererkennen oder die Worte Dich gar zu etwas anregen könnten. Manchmal aber reicht mir Deine stumme Existenz nicht weit genug; und ich wünschte fast, Du würdest einmal von Dir hören lassen. Vielleicht, dass Du mir sagst, dass das, was ich schreibe, zwar schön klinge, doch genau genommen so eigentlich gar nicht stimme. Dann würdest Du loslegen, würdest mir eifrig, beinahe aufgebracht, Stück für Stück Deine Sicht der Dinge darstellen, zunächst weit ausholend, bis Du dann schließlich, fast außer Atem, beim Kern angekommen wärst. Ich würde lächeln, im Inneren, wäre es doch das, worauf ich insgeheim gehofft hatte. Dass Du aus der Deckung kommst, und wir nach Wahrheiten suchen. Doch wenn es so geschähe, müsste ich mich wohl auch fragen, weswegen wir so lange nicht zueinander gefunden hatten – oder es trotz unseres Kennenlernens nie würden. Du bleibst, ein stummer Leser, Freund meiner Gedanken.
2023/05/09