Du wirst mir fehlen, sage ich, meine aber nicht Dich, sondern mich selbst, denn einen anderen kannte ich nicht, habe ich doch nie von etwas anderem Abschied nehmen können, als meinem eigenen Schatten.
Am Sommerabend, der Tag nicht länger heiß, sondern längst angenehm, bin ich noch im nahen Park. Idyllisch ist es hier, vielleicht sogar der schönste Park, den ich kenne. Ein großer Teich, fast schon ein See, mit einer Schwanenfamilie darin, Weiden am Ufer, zahlreiche weitere alte Bäume und eine Kirche in geringer Distanz. Hier und da, auf Wiesen und entlang verschlungener Wege, Bänke. Die einen unter freiem Himmel, die anderen etwas verborgen, nahezu versteckt. Verwundert bin ich ein ums andere Mal, dass doch nur sehr wenige hier unterwegs sind. Ehrlich gesagt, ich hatte meine Besuche trotzdem immer ein wenig mit der Vorstellung, vielleicht sogar der Hoffnung verbunden, dass ich hier jemandem begegnen könnte. Stattdessen sitze ich nun eben alleine hier, beobachte wie die Sonne langsam hinter die großen Baumkronen sinkt. Überhaupt ist dieser Park einer dieser bestimmten Orte, an denen die Zeit für mich manchmal stehengeblieben scheint. Vielleicht, weil ich heute, ebenso wie bei meinem ersten Besuch, an Dich denke, gleich wie viele Jahre bereits vergangen sein mögen. Ich denke nicht mehr daran, wer Du damals warst und ganz bestimmt nicht, wer Du heute bist, aber an diejenige, die ich immer in Dir zu sehen und zu finden glaubte, an die erinnere ich mich gerne. Manchmal erscheint mir das auch traurig, das Denken an jemanden, den es nicht wirklich gibt, allenfalls für Sekunden, doch sage ich mir dann, dass ich so wenigstens nicht ganz alleine bin. Vielleicht ist es auch einfach das Wesen aller Träumer, etwas zu vermissen, von dem wir selbst nie gesehen wurden.
Auf meinem Heimweg, dem Weg zum Haus am See, das mir in diesen Tagen eine Unterkunft ist, halte ich für einen Moment auf der hölzernen Brücke an. Mein Rad stelle ich zur Seite, setze mich hinunter auf die Bohlen, die Beine frei über dem Wasser schwingend. Auf der einen Seite liegt der See, auf der anderen die Meeresbucht. Meinen Kopf für einen Moment auf den Armen ruhend, streift mir der Sommerabendwind sanft durch die Haare, zieht ohne Hast weiter über mein Gesicht, meine Arme und Beine. Schön fühlt sich das an. Ich schließe die Augen, der nahende Sonnenuntergang findet nun hinter, statt vor meinen Augen statt. Vielleicht, denke ich mir, ist das ganze Leben ein Abschied. Trotzdem bin ich nicht ohne Verwunderung, dass ich von manchen Tagen und Orten, selbst einzelnen Sonnenuntergängen, länger hatte Abschied nehmen können, als von den Menschen, die mir einst sehr am Herzen lagen. Andererseits blieb, auch über Jahre hinweg, so vieles in mir zurück, dass ich tatsächlich vermuten muss, dass ich selbst der einzig wirkliche Abschied bin. Einer, der keine Momente, sondern ein Leben lang andauert.
2022/06/04