Der Vorhang fällt, die Zeit steht still; und doch geschieht, hier vor Dir alleine, alles, denn etwas Neues ist hinzugekommen, das Du über jeden Zweifel erhaben spürst, doch nicht in Worte kleiden kannst. Herabgesunken ist es, ebenso, wie es Dich hinaufgehoben hat, in Sphären hinein, die für gewöhnlich nur den Träumern vorbehalten blieben, doch hin und wieder auch mit den Tüchtigen sind. Und tüchtig, das warst Du, Dein Aufstieg hier herauf ist allemal Zeugnis genug.
Dann aber setzt sie ein, die Abenddämmerung hoch in den Bergen. Anders ist sie hier, vielleicht so, als würde sich da etwas herabsenken, die Welt als solche vielleicht, nicht selten gleichsam mit einer tiefen Stille, dem Wind, der fast augenblicklich mit dem Sonnenuntergang an Kraft verlor, der Luft, die nun umso kühler, fast mahnend, dass das hier, unwirtlich wie es ist, für einen Menschen kein Ort für immer sein könne, auf der Haut zurückbleibt. Was weit unter mir geschehen mag, verschwindet rasch in der Dunkelheit, hinter einem Vorhang, den ich auf meinem Weg hier herauf durchschritten habe, als gerade sonst keiner hinsah und ihn vielleicht im letzten Moment noch vor mir hätte verbergen können. Und auch mein heutiges Hierobenbleiben in der Nacht ist nichts weiter dieses Vorhangs, einer unsichtbaren Trennlinie zwischen dem einen und anderen, so als wäre ich nicht nur hinüber- und hindurchgeschritten, sondern auch, als wäre er ebenso gefallen, auf dass es vor den Augen der anderen, jene, die sie tief unten im Tal zurückgeblieben waren, nun keine Aufführung mehr gäbe. Nur hier oben, hier vor mir alleine, geschähe dagegen alles, das von Wert ist. Und die Welt, ja, sie scheint sich herabzusenken, in diesem unbestimmten Dazwischen von Dämmerung und Nacht, das dem ungeübten Betrachter vielleicht gar nicht sonderlich auffiele, doch von mir über jeden Zweifel erhaben als etwas einzigartiges wiederzuerkennen ist, geschieht es gar manchmal, dass die Gipfel, fast wie von Geisterhand verordnet, noch ein letztes Mal gedämpft aufleuchten. Ein Dazwischen der Zeiten ist das, in dem sich auch abklingende Himmelsfarben und Sterne für einen Augenblick noch die Hände reichen, vielleicht auch von einem stillen Kräftemessen begleitet, bis vorerst auf der großen Bühne nur noch Platz für einen davon bleibt. Ohnehin, ob es nun ein Herabsenken der Welt ist oder nicht, ob nun jene Sterne oder eine Handvoll über den Gipfeln ringsherum aufziehender Wolken näher und näher rücken mögen, ist mir nichts davon Gefängnis oder Grenze, denn leichter als von hier könnten meine Träume nirgendwo aufsteigen. Wach liege ich für eine Weile darin, sehe ehrfürchtig nach oben und könnte mir dabei keinen Ort vorstellen, an dem ich jetzt lieber wäre, noch dass ich es kaum erwarten könnte, augenblicklich in den Schlaf zu fallen, hieße das doch, diese kostbarsten aller Minuten zu verfehlen. Auch Frieden ist es, den ich nun empfinde, und bin still und dankbar um jeden Kilometer, jede Stunde, wenn nicht die Nacht selbst, die mich hier oben, und alles Irdische da unten voneinander trennen. Ein Gefühl, das jeden vorangegangenen Aufstieg, mag er noch so aufreibend gewesen sein, zu relativieren weiß. Nur wundern tue ich mich, in einem letzten Gedanken bevor mich der Schlaf ereilt, was wäre, wenn ich am frühen Morgen einmal hinabstiege, doch auch dort keine Menschenseele mehr vorfände. Wäre ich es, der irgendwann, zwischen gestern und heute, vollends aus der Welt verschwand; oder doch sie es? Weil, was ist schon Welt. Was ist schon Welt, wenn nicht ein Mensch, allein in der Natur.
2024/09/26