Ich wache auf, seit einer Weile, wenn die Welt draußen längst still und verlassen geworden ist. Ich weiß nicht wieso das geschieht, mit mir. Wieder und wieder. Vielleicht aus keinem bestimmten, oder gerade diesem Grund. Still am Fenster stehe ich dann, blicke alleine hinaus auf Stadtlichter, Mond und Sterne oder einfach nur die Dunkelheit. Je nachdem, wo ich gerade bin, und zu leben versuche. Immer ein wenig anders, und doch immer Nacht. Nacht, und ich. Ich will mich auch nicht länger vor ihr verschließen, noch dass sie mir weiter verborgen bliebe. Ich sehe in sie hinein, Nacht um Nacht. Nicht so, als gehöre sie mir, anmaßend wie das wäre, aber doch, als gelte sie wenigstens einzig mir, wäre nur für mich und diesen Augenblick sichtbar geworden. Vielleicht so als wäre die Nacht mit einem Schritt aus dem Dunkeln hinausgetreten. Ich glaube, ich will ein Teil von ihr werden. Will hinausgehen, mein altes Zuhause hinter mir lassen, mir ein Neues suchen. Eines, das besser zu mir passt. Zwar als Beobachter, zu Anfang zumindest, doch damit ebenso gleichsam Teil-werdend. Denn was ist schon, so ohne einen, der es sieht? Nur, ich habe Angst. Angst davor aufzubrechen, das Alte hinter mir zu lassen. Mut. Der Mut fehlt mir, feige wie ich bin. Und was, wenn ich dann auf einmal vor ihr stehe, ganz ohne etwas in meinen Händen? Nacht, die ich nicht länger verschlafen will. Keine ihrer Sekunden. Wenn es denn überhaupt Sekunden sind, die vergehen und in Wahrheit nicht sie, die Nacht, unter allem anderen liegt. Ein wenig wie der Meeresgrund. Dass es nur der Tag ist, der sie vor uns, und unserer ewigen Neugierde, geschickt zu verbergen weiß. Einzig um ihr ein wenig der Ruhe zu gewähren, die sie selbst wieder und wieder verschenkt. Sind es in Wahrheit nicht wir selbst, die vergehen? Keine Sekunden. In diesem Strom, den wir irgendwann begonnen haben Zeit zu schimpfen. Strom, der uns entgegenkommt, uns formt, an unserem Widerstand, gleich wie lächerlich er auch sein mag. Weil es am Ende ganz egal ist, ob wir ihm nun viel oder wenig entgegengesetzt gewusst haben. Einatmen will ich sie. Sie, die, wenn überhaupt, nur den Träumern gewidmet sein kann. Vielleicht sogar mehr den ewig Wachen unter ihnen, die sie verloren aber doch aufmerksam in ihr umherstreifen. Nicht endlos, auch wenn das manchmal so scheinen mag, sondern nur bis zum stillen Tag-werden hinter den Fenstern. Wenn sie sich zurückziehen und einer wie der andere still aus ihrem Zuhause verschwinden, denn einzig die Dunkelheit war ihres gewesen. Einer der Nacht, will ich von nun an am liebsten sein.
Eines Nachts zieht es mich nach draußen. Nach Jahren, wie es mir vorkommt. Ich schleiche mich aus der Wohnung, die Türe fällt sanft hinter mir ins Schloss, verschließt das ebenso schwarze Treppenhaus mit einem Ruck. Kein Zurück mehr, heimatlos wie ich nun bin, für diesen kurzen Augenblick zwischen dem einen und anderen, unbestimmt auf der Schwelle. Er, der Wächter, wartet bereits auf mich. Verschwörerisch, fast wütend, raunt er mir zu, dass die Nacht keinem gehöre. Sein Gesicht im Halbdunkeln einer nahen Straßenlaterne. Schön die dunkle, kaum hineinzusehen in die helle Hälfte seiner vielen Gesichter. Etwas ängstlich entgegne ich, dass ich eben deshalb einer der Nacht sein wolle. Ihr allein wolle ich nun gehören, nicht sie mir. Weil das ja weder gehe, noch angemessen wäre, – wie ich übrigens sehr wohl längst alleine herausgefunden hätte, auch ganz ohne seinen Hinweis, Danke natürlich trotzdem dafür. Und er nickt, und schweigt, weil er weiß, dass ohnehin nichts ist, wie wir sagen und denken, aber auch, dass wir beide, einer wie der andere, für das, was wir nun empfinden, keine Worte finden können. Gleich wie sehr wir es auch spüren mögen, in unserem Inneren, das sich nach außen kehren will, mit all seiner Macht, und doch nicht kann. Vielleicht weil es keine Worte dafür gibt. Vielleicht hätten wir sie auch irgendwann, vor langer Zeit, lernen müssen. Lernen müssen von einem, der sie, Generation um Generation, weiterreichte. Oder dass sie uns, scheinbar zufällig, hätten zufliegen müssen, ein wenig wie Träume. Doch auch ein Schweigen der Nacht kann nicht ewig andauern und so schicke ich mich an aufzubrechen, um ganz wie die anderen umherzustreifen. Ich tippe mir an Stirn, ganz so wie man das früher getan hatte, denn für ihn und mich sind Früher, Heute und Morgen eines wie das andere. Es ist, einzig und allein, Nacht. Einen Traum schenkt er mir, den er mir zum Abschied wortlos und von einem letzten Nicken begleitet in die Hände drückt. Nie hätte ich es gewagt ihn darum zu bitten. Nie. Doch ich glaube jetzt, mit ihm an meiner Seite, habe ich endlich ein Zuhause gefunden.
Ich bin einer der Nacht geworden.
2021/10/20