Melancholie sei das widersprüchliche Empfinden, ein anderes Leben zu verspüren, habe ich einmal gelesen; und fürchte gerade weil dahinstehen kann, um welch eines es sich handeln könnte, wenn nicht eines der Längstzurückgelassenen; oder gar der diffusesten – den unzähligen Niedagewesenen.
Unverrichteter Dinge breche ich auf, lasse diesen Ort der vergangenen Tage zurück, denn auch bis zuletzt hatte sich kein so rechter Sonnenuntergang ereignen wollen, gleich wie sehr ich gehofft hatte, die Wolken mögen sich für einen Moment auftun, abendlicher Sonnenschein ließe die Felsen, die Kronen der Wellen, ja überhaupt den bislang allzu tristen Himmel aufleuchten. Nur vage hatte ich es vor Augen, doch bestimmt genug, um länger zu bleiben; und es als Wirkliches auf ein Bild bannen zu wollen. Es blieb, wie so oft, ein Wunsch; und ich bin wieder unterwegs, weiter an der Küste entlang in Richtung Westen. Melancholie verspüre ich; wahrscheinlich dieselbe, die ich beim Gedanken an eine Heimat oder eine frühere Jugendliebe empfände. Ein verfehlter Sonnenuntergang, der Phantasie blieb, eine Bekanntschaft, gleich ob erdacht oder nicht,- ich mache keinen Unterschied. Vielleicht, weil dort, wo keiner sein kann, auch keiner ist. Melancholie ist, was im Stillen vom Leben übrigbleibt; und wenn nicht vom Leben, dann von mir selbst. Ein seltsam zielloses und doch bestimmtes Empfinden von Spuren anderer Leben, gleich ob Erinnert oder nur Erträumt, gleich ob eines einzigen oder gar unzähliger.
2024/03/08