Wirklich nahe bin ich ihm nicht gekommen, meinem Berg, doch stieg ich an seinem Nachbarn auf, bis wir uns fast schon auf Augenhöhe begegnen konnten. Sein Anblick, schneebedeckt und von Wolken umspielt, zog mich schon zu Anbeginn zu sehr in seinen Bann, als dass ich auf dem Boden hätten zurückbleiben können. Gleich meiner Mühen, seine wahre Größe blieb ungewiss, doch überall, wo er sich zeigte, hätte ich staunend meinen können, er gehe dahinter höher und höher, vielleicht sogar ganz ohne ein Ende. Ich gelangte bis in die Wolken hinein, spürte längst selbst den Schnee kalt in meinem Gesicht und hätte doch bis in den Himmel hinaufmüssen. Einen Schritt vor den anderen hätte ich setzen müssen. Vielleicht für immer.
Auf einen Berg bin ich gestiegen, heute Nachmittag. Weil kein Weg war, machte ich es den Gämsen gleich, stieg unbeirrt Schritt für Schritt an seiner Flanke hinauf, als wären zu meinen Füßen tausende Stufen. Und Gämsen sah ich; und sie sahen mich. Doch, ganz mit hinauf wollten sie wohl nicht, ließ ich sie endgültig hinter mir, als erst der Schnee vor mir lag. Für einen geübten Bergsteiger mag der Gipfel, der sich in scheinbar greifbarer Nähe im Nebel hin und wieder vor mir abzeichnete, selbst bei diesen widrigen Bedingungen zu erklimmen sein; ich blieb an seinem Grat zurück, und staunte. Auf der einen Seite – das Tal, aus dem ich gekommen war, weit unter mir; auf der anderen – ein Grat aus Eis, und dahinter, im Bodenlosen, nichts als Weiß. Ich habe so etwas noch nie gesehen, fotografierte bis zu diesem Tag die Berge viel zu oft von unten, als dass ich ihnen so nahegekommen wäre. Der Blick in die Ewigkeit hinein, der bleibt; und auch, dass ich dort oben die einzigen Fußstapfen hinterließ. Bis der Schnee schmilzt, sind sie Geschichte. Geschichte, die keiner sieht; und einzig in mir verbleiben wird, so wie das bei allen ist, die auf ihrer Suche Grenzen überschritten.
2023/05/11