Nur einmal erleben, dass an einem Schweigen nichts falsch, die Zeit, bis wir zu neuen Worten zu greifen wissen, weder verloren, noch zu still ist. Ein Schweigen als das höchste an Gefühl; doch eben keineswegs so, wie die Redensart vermuten lässt, sondern tatsächlich als Schönstes, das es zu erreichen gilt.
Doch, wiedergesehen haben wir uns, kaum einen Tag darauf und an einem anderen Ort über hundert Kilometer weiter. Ein Ort, der zwar bei Reisenden beliebt ist, doch an dem sich Zwei selbst dann verfehlen könnten, wären sie zur selben Zeit dort. Haben wir aber nicht; und ich verstand kaum, wieso. Am frühen Nachmittag wanderte ich die Küste entlang, war noch gar nicht weit gekommen, bis ich sie dort sitzen sah, wie schon am Abend zuvor an einer gänzlich anderen. „So, da sind wir also wieder“, sagte ich, lächelnd und mit kaum verhohlener Freude, wäre es doch ohne diese Fügung unmöglich gewesen, wussten wir doch sonst nichts außer unseren Vornamen voneinander. Wir sprachen, trennten uns dann, sie erst einmal auf dem Weg in ein nahes Fischerdorf, ich den Küstenstreifen weiter erkunden auf der Suche nach Motiven. Beide hielten wir es für möglich, für den Sonnenuntergang hierher zurückzukehren, doch keinesfalls ausgemacht. Stunden später stand ich aber tatsächlich wieder dort, ließ mir damit die beste Gelegenheit zur Fotografie ein zweites Mal entgehen, doch dauerte es nicht lange und auch sie tauchte auf. Zwischen neuen Erzählungen, die Sonne nun tief über dem Horizont, gab ich ihr schließlich Raum, hatte ich doch das Gefühl, den brauche sie, ungleich kürzer wie ihre Reise war; und überhaupt schien mir, als hätte sie es dringender notwendig gehabt, die Heimat zurückzulassen. Hin und wieder, ich nun doch ein wenig auf den umliegenden Felsen am Fotografieren, sah ich zu ihr hinüber; und fast war mir, als wären wir zusammen hier, so als könnte das gerade eines dieser niedagewesenen Leben sein, wie sie vielleicht die anderen haben mögen, doch niemals ich. Für einen Moment ein jeder für sich, dann wieder zusammen. Dann, längst Abenddämmerung und aufkommender Wind, signalisierte sie, dass es an der Zeit für den Heimweg wäre. In guter, beinahe sehnsüchtiger Erinnerung habe ich diese letzten Kilometer und Minuten. Auf der einen Seite das weite Meer mit den ausklingenden, zarten Himmelsfarben, auf der anderen das Inland mit dem hellen Mond darüber, dazwischen wir beide, uns ausgelassen, fast schon vertraut, unterhaltend, hier und da noch einmal innehaltend und einen letzten Blick die Klippen hinabwerfend. Ich mochte das, den Blick zwischen den Wanderschritten auf ihr Gesicht im Halbdunkeln, ihre Haare umspielt von Wind, begleitet von unseren Worten, vereinzeltem Lachen. Wenn ich etwas hätte fotografieren wollen, wäre es das gewesen; und wenn wir auch zusammen schweigen könnten, was fehlte dann noch? Doch unsere Leben dürften grundverschieden sein; allen voran ihres ein Zuhause, und meines kaum eines. Kennengelernt hatten wir, einzig und nur ein wenig, wer wir in der Ferne waren. Beim Abschied sagte ich trotzdem, sie könne mir doch einmal schreiben, ich würde hin und wieder gerne Zeilen mit jemandem austauschen. „Botschaft angekommen, werde ich“, entgegnete sie und ich fragte mich, ob es wirklich so einfach, schlicht und doch schön sein könne zwischen zwei Menschen. Vielleicht, so als hätte ich stattdessen ganz frank und frei gesagt, dass ich den Abend als etwas Besonderes empfunden hätte, wir uns ja vielleicht irgendwie in unser anderes Leben hinübertragen könnten, denn zumindest den Versuch würde ich nur zu gerne wagen. Darin, unausgesprochen und doch nicht zu leugnen, die einfache Frage, ob das denn auf Gegenseitigkeit beruhe. Botschaft angekommen. Nichts weiter war zu sagen, lag es doch nun an ihr.
2024/04/22