Ohne dass ich das gewollt hätte, kannte ich sie irgendwann auswendig, die Adresse. Sie schlich sich von einem auf den anderen Tag ganz von alleine in meine Gedanken. Ein wenig wie ein Anker ist sie mir mit den Jahren immer vorgekommen. Auf dass ich, wenn mir einmal danach wäre mich jemandem vertraulich mitzuteilen, wüsste an wen ich nun schreiben könnte. Den Wunsch danach verspürte ich oft. Immer dann, wenn die Einsamkeit nur schwer zu ertragen war. Auch dann gab ich dem Wunsch selten nach, und kämpfte stattdessen das Verlangen nieder. Manchmal, wenn ich doch geschrieben hatte, verspürte ich unmittelbar Linderung. Die Einsamkeit schien auf einen Schlag von mir abzufallen. Doch nur kurze Zeit später setzte stets die Erkenntnis ein, mich in Wahrheit nur selbst belogen zu haben. Ich hätte all die Worte, an denen ich voller Hingabe gefeilt hatte, ebenso gut in den Wind hineinrufen können. Ungefähr einmal im Jahr, meist im Frühling, schrieb man mir, dass kaum ein Tag vergangen wäre, an dem man nicht an mich gedacht hätte. Doch einen einzigen Schritt in meine Richtung war man nie gegangen. Schließlich verstand ich, dass ich mich meiner früheren Bekannten entledigen müsste. Auf dass ich sie zwar noch immer fest bei mir tragen würde, nur eben als das, was sie hätten sein können. Eben ganz so, wie ich sie einst gesehen hatte. Ich änderte meine Anschrift. Ein erstes, und weil es der Zufall so wollte, auch ein zweites Mal. Fast wie ein Dieb war ich mir da vorgekommen, der, um etwaige Verfolger abzuschütteln, gar falsche Fährten legte. Viel schwieriger schien sich daraufhin die Frage zu gestalten, wie ich selbst eben jene Adresse verlernen könnte, die sich mein Inneres einst ungefragt angeeignet hatte. Damit ich selbst dann nicht schreiben könnte, wenn ich denn unbedingt wollte. Ich ging dazu über immer dann, wenn sie durch meine Gedanken huschte, stattdessen meine eigene aufzusagen. Wieder, und immer wieder. Noch immer weiß ich nicht, ob ich Erfolg damit hatte. Um es herauszufinden, müsste ich versuchen mich tatsächlich an sie zu erinnern. Doch was, wenn es mir noch immer gelingen würde? Würde das nicht all meine Anstrengungen zunichtemachen, müsste ich dann nicht ganz von neuem anfangen? Ich glaube das, was bleibt, ist die Einsicht wie einfach es gefallen ist die Spuren zu verwischen, und vermeintlich unauffindbar zu sein. Nicht etwa, weil ich das wirklich wäre, sondern weil niemand die Anstrengung unternommen hat nach mir zu suchen.
2021/06/28