Noch immer streife ich manchmal, wenn ich etwas verloren und einsam dahingehe, im Vorbeigehen über das, was dann an meiner Seite liegt. Ganz gleich, ob ein altes Gemäuer, eine verwitterte Bank oder das Grass einer Wiese. Alles, das nicht Mensch ist. Ich streife mit den Fingern darüber, zerreibe sachte die Samen eines Halmes, die morsche Rinde eines Baumes zwischen meinen Fingerspitzen. Früher, wenn ich ebenso dahingegangen war, wollte ich mich mit jeder Berührung vergewissern, dass ich ebenso existiere, wie all das andere auch. Mit den Jahren aber versank ich immer weiter in mir selbst, versuche mir nun vielmehr einzureden, dass auch nur irgendetwas außerhalb von mir zu bestehen vermag. Dass das, was ich mit meinen Händen berühre, kein Teil von mir sein kann, sage ich mir, doch ein Zweifel verbleibt. Noch immer verstehe ich nicht, wie es möglich ist, dass ich mich selbst zwar fühlen, nicht aber berühren kann. Als wäre ich weder das eine, noch andere. Nicht innen, aber auch nicht außen. Und ich frage mich, ob das, was ich vor meinen Augen zu sehen glaube, nicht vielleicht erst in dem Augenblick, in dem ich meine Fingerspitzen danach ausstrecke, zur Wirklichkeit wird. Als hätte es darauf gewartet, ich weiß nicht worin, wenn nicht in mir selbst, dass es bei meinem Vorübergehen zu einem Teil von mir würde.
In meiner Kindheit habe ich mir vorgestellt, das eigene Leben sei einer Welt gleich, die in den Anfängen unermesslich groß, später dann immer kleiner werde. Eine mir fremde Welt, durch die ich als Wanderer mit jedem Schritt und jeder Sekunde hindurchschreite, von ihrem einen zum anderen Ende. Doch längst glaube ich, dass Leben und Welt mehr einem Strom gleichen. Dass ich darin, mutterseelenalleine, an einer immergleichen Stelle stehe und in der Illusion, mich fortzubewegen, mit meinen Armen stattdessen alles, das mir entgegenkommt, so gut es mir gelingen mag, an meiner Seite vorüberziehen lasse. Manchmal ist dieser Strom einer Sturmflut gleich, ist rasend und undurchdringlich, und ich muss mich ganz klein machen, um nicht fortgerissen zu werden. Ein andermal scheint er so leicht und weit, dass ich schon glaubte, meine Arme heben und davonfliegen zu können. Doch wenn ich darin nach etwas Bestimmtem hatte greifen wollen, das vor meinen Augen aufgetaucht war, ging es an mir vorüber, weil ich niemals nahe genug gewesen war, um es tatsächlich festhalten zu können. Kind bin ich nicht länger und nun sicher, dass es letztlich unbedeutend ist, ob ich wanderte oder stillstand. Allein mit mir wird die ganze Welt untergehen. Davontragen wird es mich, und alles andere. Spurlos um die nächste Biegung werden wir verschwinden, selbst wenn es dann keine Biegung, keinen Strom mehr geben sollte. Wenn ich aber danach gefragt worden wäre, ob ich jemals einem anderen begegnet war, so hätte ich aufrichtig geantwortet, dass ich in diesem Leben und dieser Welt niemals einen Menschen gesehen habe.
2022/06/14
(Der einsamste Ort ist und bleibt in mir selbst. Überall dort, wo ich selbst bin.)