Vielleicht wäre ein Leben an meiner Seite nicht das Schlechteste gewesen, geht mir beim Aufbruch durch den Kopf. Ich hätte zumindest gewusst, wo’s still und schön ist, in und auf der Welt. Dafür hatte ich immer ein gutes Händchen.
Frühmorgens radle ich einige Kilometer zum See, streife mir dort angekommen die Kleider vom Leib. Ich zögere nicht lange, steige hinein ins klare Wasser, lasse mich mit einem lauten Prusten hineinfallen. Spiegelglatt und verlassen liegt er vor mir, umgeben von dichtem Wald, tiefblauer Himmel und vereinzelte Schönwetterwolken darüber. Das Wasser ist kalt, mein Herz pocht. Schön ist es hier, wunderschön sogar. Ich muss lächeln, überlege kurz, wage mich schließlich an die Durchquerung, vom einen zum anderen Ufer. Bei einem Krampf würde ich wohl sang und klanglos darin verschwinden, tief und einsam wie’s hier ist. Zurück am sicheren Ufer steige ich auf einen alten Baumstamm, der knapp unter der Oberfläche im Wasser ruht. Wassertropfen rinnen an mir hinab, Gänsehaut darunter. Ich glaube, dass wenn man aufrichtig einsam ist und damit für andere körperlos scheint, es so etwas ist, das dabei hilft, sich selbst und den eigenen Körper einmal nicht als bloße Last wahrzunehmen, der eine meist viel zu schwere Seele beherbergt. Dass man für den Moment, hervorgerufen durch nichts weiter als das kalte Wasser, den Sonnenstrahlen auf der Haut, das Gefühl hat tatsächlich zu existieren, einen Körper zu haben, den ein anderer berühren könnte, wie es das Wasser tut, nur um mir zu sagen, dass es mich gibt – und dass das schön ist. Vielleicht bin ich sogar ganz ansehnlich, nahezu schön gewesen. Zwar nur hier, alleine vor mir selbst in der Morgensonne, doch immerhin. Möglicherweise beruhigt mich der Gedanke ein wenig, dass es nicht mein Äußeres war, das mich hatte einsam werden lassen, sondern ich die Seele eines Menschen habe, für die man unmöglich empfinden konnte. Ich glaube, es wurde mir in die Wiege gelegt.
2022/06/05