Dass ich zwar früher nicht unbedingt länger, dafür aber in weiter entfernten Gegenden und Ländern unterwegs gewesen war, werfe ich mir noch heute regelmäßig vor, auch wenn ich weiß, dass die Entscheidung für einen Ort unausweichlich ist; und auch, dass es fast überall etwas zu entdecken gibt. Aber, der Vorwurf, den ich da stumm an mich richte, bleibt bestehen, habe ich doch Sorge, dass meine Besinnung auf mir bekannte Gegenden schlicht aus Schwäche heraus geschehe,- der Angst vor dem Aufbruch ins Ungewisse. Gestern habe ich dann meinen Rucksack gepackt, Kamera und Objektive, einen Schokoriegel und etwas Wasser für den Notfall und mich auf den Weg gemacht. Erst den Pass ein gutes Stück hinauf, dann den Steilhang, bis ich auf einen Pfad stieß, dem ich zu folgen entschied. Nach einer Weile, die größeren Berge in der Ferne stets von Wolken umhüllt, kam ich an einen Bachlauf, fast schon ein Wasserfall, dem ich nun, auf der Suche nach seinem Ursprung, in die Berge hinauf folgte. Dort schließlich Schnee, dazwischen fast haushohe Felsen, um die die Sonne in den Tagen zuvor einen Ring gebrannt hatte, vereinzelt auf nun freiliegendem Schutt sogar erste Blüten zum Vorschein kommen ließ. Doch, trotz der Vorboten des Frühlings, war es kalt, der Schnee hier oben zu Eis gefroren, auch wenn mir das das Gehen immerhin leichter machte. Ich war fern aller hier, hatte seit meinem Aufbruch niemanden gesehen, hinterließ die ersten Spuren im Schnee und gab bei jedem Schritt acht, dass ich nicht jetzt, wo niemand von mir weiß, verlorengehe. Der Gipfel des Berges, unmittelbar vor mir aufragend und schneebedeckt, war umlagert von Wolken in steter Bewegung. Das ist das Besondere, dachte ich mir dann, nur wenige Kilometer vom Pass entfernt zu sein und doch ist es, als sei man in der größten Wildnis gelandet, tun doch auch die winterlichen Bedingungen ihr Übriges dazu. Nicht weit muss einer gehen, um andere hinter sich zurückzulassen und etwas nahezu Unberührtes zu finden, sondern nur wissen, wo. Ich hatte knappe sechs Stunden lang keine andere Seele gesehen; und auch, wie ich in der Abenddämmerung den Pass schließlich wieder hinabging, änderte sich daran nichts.
2023/05/10