Ganz still ist es nicht, raschelt vielmehr leise, Laub und Zweige fallen, von Wind und Schwerkraft getragen, sanft gen Grund, sammeln sich, mal für sich, mal auf- und ineinander, vermodern schließlich, immerzu und immerzu, bis ich selbst, längst alt geworden, ein Gesicht einer knorrigen Eiche gleich, auf müden Knien zu Boden gleite und mein Haupt auf einem Fleckchen Moos zur Ruhe bette. Erst jetzt kippt auch ihr Stamm, der solange schon als unbezwingbar und allzu gewaltig galt, von einem langen, beinahe ewigen Seufzen begleitet, zur Seite und findet neben mir seinen Platz. Vereint sind wir nun doch, am Ende unserer Tage; und es bleibt, als Stille, ein Gerippe neben einem anderen. Meine Haut, sie war Rinde; und Rinde berührte ich, wenn ich auf der Suche nach Geschichten mit ausgestreckten Armen lauschend durch den Wald lief.
Und Du, denkst Du nicht, dass auch der Wind in den Bäumen Sprache ist? Der Wind in den Kronen, ein ungestümes Rauschen hoch oben in den Zweigen. Oder ein andermal, ein wenig leiser dann, das Rascheln des Laubs, gleich ob im Frühlingsgrün oder Herbst. Ganz zu schweigen vom Knacken und Knarzen der Stämme, bei großer Dürre oder einer Eiseskälte, die schließlich selbst die dicksten von ihnen noch durchdringt, das Wasser in den Adern zum Stocken bringt wie ein Schauermärchen. Manchmal, schlimm ist das dann, auch das Biegen und Bersten, bei höllischem Sturm, der tobend, so als wolle er seinen Tribut einfordern, ganze Schneisen durch das Land pflügt. Oder gar das Schönste, wenn es unaufhörlich tropft, einem hundertfachen Murmeln gleich, bei leichtem Sommerregen oder Novembernebel, der so undurchdringlich ist, dass dahinter ganze Welten verschwinden. Ein weiteres kam hinzu, viel seltener und umso kostbarer. Wenn es Reif hat, Reif, der einem Zauber gleich den Winterwald einzuhüllen wusste, bis dieser dem Bild eines Märchenschlosses nicht unähnlich war. Unmengen davon, ein bitterkaltes Kleid, das erst wie von Geisterhand über Nacht entstanden war und das es nun doch, wie sich die Sonne erst einmal wieder am Himmel zeigte und es wärmer wurde, anfangs noch widerwillig, doch viel zu bald schon eilig abwarf. Schicht für Schicht fiel prasselnd herab, bestäubte mich darunter, bis schließlich ich’s war, der einem Zauberer in weißem Mantel glich, während der Wald, nun wieder schutzlos und allzu karg, neidisch auf mich hinuntersah. Ich spürte sie auf mir ruhen, diese Blicke, hätte nur zu gerne zurückgegeben, was ich an mich nahm, und verblieb doch froh darüber, dass etwas so Schönes auf mich übergegangen war. Doch eines, eines bleibt immer gleich auf meinen Streifzügen, die ich so häufig unternehme, dass sie längst zu etwas zeitlosem geworden scheinen. Ich bin immer alleine, bin immer alleine zwischen diesen Bäumen, von denen kein einziger dem anderen gleicht, alleine in diesen schrecklich großen Wäldern, die nicht schrecklich sind, weil es letztlich doch nur ist, dass ich bei meinem Umherstreifen in mich selbst hineinblicke. Und ich sehe viel darin, doch einen anderen, das nicht. Und langsam glaube ich, dass ich wirklich nurmehr eine Sprache spreche. Der Wind in den Bäumen, das ist, was und wovon ich etwas verstehe. Aber wenn ich ein wenig später dann, längst wieder unter Menschen, am liebsten in Dein Gesicht blicken würde, Dich an jeder Straßenecke und Bahn suche, dann verstehe ich nichts von dem, das da um mich herum vor sich geht. Ich könne schreiben, hätte etwas zu erzählen, dem man gespannt lauschen wolle, sagte sie einmal, sogar so gut, dass sie dabei geweint habe, doch wo sie heute ist, dorthin reicht kein Wort. Wir beide, kaum mehr als eine Saga nie dagewesener Zeiten. Und dieser Wald, nein, jeder Wald der Welt, wird wohl der allerletzte Ort sein, an dem ich sie wiederfände, gleich wie oft ich darin, selbst wie verwurzelt, stehenbliebe und angestrengt in alle Richtungen zu lauschen vermochte. Doch so seltsam das sein mag,- an keinem anderen Ort wollte ich sein, denn an keinem anderen könnte ich’s, fällt mir doch anderswo das Atmen viel zu schwer. Nur hier halte ich hin und wieder inne, wurzle für einen ewigen Augenblick, lege mein Ohr sanft an den Stamm eines der Baumriesen, spüre wie mir die Zweige über den Kopf streichen und lausche dem verhaltenen Knarzen und Raunen, bis ich weitere Worte, Fragmente von Jahrzenten, vielleicht die Erinnerung an eine außergewöhnliche Gestalt, die hier einmal hindurchgekommen war, vielleicht ein besonders schwerer Sturm, der den Nachbarn zu Fall gebracht hatte, daraus aufgeschnappt und verinnerlicht habe. Ein seltsames Wörterbuch gibt das, denn nur zu fühlen, nicht zu übersetzen sind sie, diese Einträge, die ich nichtsdestotrotz bei mir tragen, doch wohl kaum je sprechen werde, fehlten mir doch dazu mindestens Stamm und Zweige. Nur manchmal, wenn es so richtig rauscht, ganz laut und ungestüm im Wald und um mich herum, dann strecke ich meine Arme in die Luft und stelle mir vor, dass auch ich’s wäre, an dem der Wind eine seiner Erzählungen stricken und in die weite Welt tragen ließe, wäre mir das doch das größte aller Geschenke.
Der Wind in den Bäumen; das sind die Geschichten, in denen ich zuhause bin. Der Wind in den Bäumen, das ist das Flüstern in meinen Ohren, wenn ich spät in der Nacht von einer Träumerei aufschrecke und einsam am liebsten nach Zweisamkeit greifen möchte.
2025/01/08