„Inkognito habe ich dem stufenweisen Verfall meines Lebens beigewohnt,
dem langsamen Schiffbruch all dessen, was ich sein wollte.“
[Fernando Pessoa]
Aus der Distanz heraus, betrachte ich nüchtern mein eigenes Dasein. Ein Dasein, das ich kaum selbst mehr ertrage; und doch noch nicht davon ablassen kann. Ich bin überrascht, mit welcher Faszination ich dies tue; und kann nur vermuten, dass es dieselbe Sensationsgier sein muss, die mich schon an anderen Menschen immer so ungemein angewidert hatte. Gleich einiger Passanten bleibe ich mit aufgerissenen Augen und einem breiten Lächeln im Gesicht am Straßenrand stehen. Dabei ist mir, als würde ich auf einen Obdachlosen hinuntersehen, der hilflos in seinem eigenen Schmutz gefangen liegt. Von einem Wagen angefahren, das Elend unweigerlich und unumkehrbar in unser Bewusstsein hineinkatapultiert. Ich empfinde keine Spur von Mitleid; nur tiefe Abscheu, dass ich mir das selbst angetan habe. Dass ich mir angetan habe, am Leben zu sein. In einer Welt, in der ich schon fremd war, als ich meinen ersten Atemzug machte. Und ich lächle, doch in einen Spiegel kann ich längst nicht mehr sehen. Es muss Jahre her sein, dass mir das gelang und ich mir in die Augen geblickt habe. Mir graut vor diesem Anblick, denn ich habe Angst zu begreifen, dass mein ganzes Leben tatsächlich ungelebt an mir vorübergezogen ist. Ein Leben, das ich einzig dafür gehasst habe, dass es mir so viel bedeutet hat. Nicht einmal nach den Sternen habe ich gegriffen, wollte nur ein wenig von dem, was die anderen hatten. Doch es schien, als hätte man mir die Hände gebrochen, mich dazu gezwungen, mir bei meinem eigenen Verfall zuzusehen. Aus der Ferne, und mir doch viel zu nah. Aber wenn ich gekonnt hätte, ich wäre nie geboren worden, hätte niemals Sehnsucht verspürt.
2022/07/07