Prolog
Nichts, das wir verlassen, wird uns aus einem anderen Grund fehlen, als dass wir uns an uns selbst erinnern und Sehnsucht danach verspüren, wer und wie wir einst gewesen sind. Was ist Fernweh, wenn nicht die Sehnsucht nach mir selbst? An jenen anderen, an den ich mich erinnere; nicht wo, sondern wer ich einmal war.
Kapitel I | Stimme der Vergangenheit
Ein lautes Klingeln schreckt mich auf, reißt mich abrupt aus meinen Gedanken. Seltsam, dass ich augenblicklich dann angerufen werde, wenn ich überhaupt einmal erreichbar bin. Jemand muss es ununterbrochen bei mir versucht haben; oder schlicht mit irgendeiner unbekannten Kraft und Wissen der Welt genau diesen Moment erahnt haben. Ausgerechnet bei mir. Ich nehme nach kurzem Zögern an, schweigend, wie ich mir das für Anrufe angewöhnt habe. Gleich, ob ich angerufen werde oder selbst es bin, der nach jemandem ruft. Eine seltsame Angewohnheit, gebe ich zu, die ich mir vielleicht gerade deshalb angeeignet habe. Auch auf der anderen Seite kein Name oder eine Begrüßung, nur die Worte, „Meine Eltern hatten einen Unfall. Das Haus, ich würde es gerne ausräumen. Kannst Du herkommen?“. Die Stimme am anderen Ende klingt noch immer – oder gerade wieder – vertraut, dabei sind weit mehr als zehn Jahre vergangen, seit ich sie überhaupt gehört habe. So, als wäre sie mir insgeheim nie nicht vertraut gewesen. Als hätte ich sie immer schon gekannt, wieder und wieder gehört. Vielleicht vor allem im Stillen, jene Stille der Gedanken, und der Welt um mich herum. Für einen Moment zieht es mich zurück, all die Jahre, zurück an einen fernen, fast vergessenen Ort. Ehrlich gesagt, einen den ich kaum kannte und doch immer vermisste. Ich vermute, dass es wohl Gründe dafür geben muss, dass ausgerechnet ich gefragt werde und mit den Geschwistern vielleicht auch etwas im Argen ist. Und das Haus, ja, das Chaos darin hatte ihr damals schon missfallen. Bei der Vorstellung, dass man besser nie wieder in den Keller hinuntergehe, wer weiß, was darin verborgen sein könnte, hatten wir damals lachen müssen. Ich gebe mir einen Ruck, unterbreche mit einem Räuspern mein Schweigen und sage, dass ich verstehe. „Wann ist das passiert?“, frage ich. „Letzte Woche“, antwortet sie. „Mhm“, murmle ich. Ein „Tut mir leid“, scheint mir nicht angemessen, ist mir ohnehin noch nie in meinem Leben über die Lippen gekommen. Sie schluckt, und sagt, „So schaut es aus“. In Gedanken vollende ich instinktiv „… im Schneckenhaus“, weil es das ist, was wir immer sagten. Nur, dass ich es ihr nicht so einfach machen möchte, nach all den Jahren. Aber vielleicht erinnert sie sich jetzt ohnehin selbst daran und hat es längst schweigend vollendet. Vielleicht denkt sie auch an gar nichts; oder an etwas ganz anderes. Bei Telefonaten kann man das nie so richtig sagen. Noch weniger als dann, wenn sich zwei Menschen tatsächlich einmal gegenüberstehen. Vielleicht mag ich es deshalb so wenig, das Telefonieren. Dass sie ohnehin immer nur Ersatz für ein Gespräch sein können, habe ich einmal gelesen. Das hat mir gut gefallen. Ich frage nicht weiter nach, sage nur, dass ich in ungefähr einem Tag da sein könne. Ich sage nicht „bei Dir“ oder „dort“, sondern „da“. „Das wäre gut“, meint sie. „Dann bis dann“, ein Klicken in der Leitung, still ist es augenblicklich wieder. „Du hast mir gefehlt“, murmle ich in die tote Leitung. Wo ich bin, hat sie mich nicht gefragt. Weiß ja nicht wo ich wohne, noch dass ich gerade zweitausend Kilometer in der Ferne bin. Dass ich nun also aufbrechen, ohne Halt durchfahren werde, so als wäre genau das selbsterklärend, eine Selbstverständlichkeit. Und es ist, irgendwie, für mich zumindest. Ehrlich gesagt, ich hatte mir das immer gewünscht, einige Tage auf dem Hof ihrer Eltern zu verbringen. Als gehörte ich tatsächlich dorthin, an irgendeinen Ort, hätte etwas zu tun, von dem irgendetwas verbleiben würde, später einmal als Veränderung zu sehen wäre. Ganz anders als von dem, was ich sonst so tue, schon mein ganzes Leben lang. Ich trete nach draußen, blicke auf Strand und Meer hinunter, Wind und Gezeitenrauschen in den Ohren, und frage mich, was und wer wohl aus ihr geworden ist in den vergangenen Jahren. Dass sie noch immer so schön, oder noch schöner sein könnte und wir doch nicht füreinander geschaffen sind, damit könnte ich leben, träumte ich doch schon so lange davon. Doch was, wenn sie nur noch ein Schatten ist. Davor habe ich Angst, Angst meine Träume begraben zu müssen. Denn sie sind es, die mich so weit getragen haben. Sie allein.
Manchmal habe ich von Dir geträumt. Die Gewissheit, dass Du es warst, dem ich darin begegnet bin, war es, die ich am Morgen, wenn ich erwachte, als erstes gespürt habe. Sie hat mich immer irritiert, da wir beide uns doch bereits seit Jahren fremd und unbekannt waren. Hast Du gewusst, dass ich dabei doch nur stets Abbilder des Wirklichen erlebte? Ich irrte umher, suchte nach Dir und wenn ich Dich gefunden hatte, führte doch kein Weg an dem vorbei, das Du einst zur mir gesagt hattest. Selbst Träume, von denen wir beide immer dachten alles wäre möglich darin, erschöpften sich an uns, und der Wirklichkeit. Die, die Du für uns beide geschaffen hattest. Diese Träume, sie zogen sich vor uns zurück, wendeten sich beinahe beschämt ab, scheiterten ebenso, wie wir das taten. Wenn schon Träumen nicht gelang, was wir nicht vermochten, wäre das nicht ein Grund das Träumen ganz aufzugeben?
Von der Gewissheit der Träume, 2021/03/01
Kapitel II | Aufbruch
Einen letzten Blick werfe ich zu Strand und Klippen. Jener Strand, an dem ich einige Tage verbrachte, auf Sonnenaufgang und -untergang wartete, den Wolken zusah, ankommende, flüchtig umhergehende Menschen musterte, mich dabei aber doch am meisten auf die innere Welt, die Stille und doch nicht Stille von Dämmerung und Mondnacht freute. Innere Welt, so habe ich es irgendwann genannt. Wenn wir in der Welt alleine sind, nur wir selbst es sind, die stehenbleiben, das Geräusch unserer Schritte verhallt, wir aus uns hinaussehen, aufmerksam und voller Staunen die Natur um uns beobachten. Einige Male hatte ich den weiten Strand, umgeben von dunklen, hochaufregenden und schroffen Klippen auf der einen Seite, dem meist rauen, fast aufgebrachten Meer auf der anderen Seite, ganz für mich alleine. Ich habe mich dann immer gewundert, dass so etwas überhaupt noch möglich ist. Dass man einen Ort, der so groß und schön ist, trotz der tausenden Menschen auf der Welt ganz für sich alleine haben kann. Vielleicht nicht für immer; aber doch wenigstens für diesen Augenblick. Ich wende mich ab, muss mich zwingen dazu, streife mir die Schuhe ab, lasse mich in den Fahrersitz fallen. Mein Zuhause, mein Wohnzimmer. Wie oft schon ist es mir als solches vorkommen. Dass ich, fast als würde ich tatsächlich in einem sitzen, eine Fernbedienung in der Hand, den Fernseher vor mir, immer, wenn ich etwas anderen sehen wollte, nicht das Programm aber einfach den Ort ändern würde. Dass ich davonfahre, irgendwohin, und wie in einem Bildschirm eben das, was ich durch die Fenster sehe, zu etwas anderem werden lasse. Der Motor stottert ein wenig, springt schließlich an, findet seine Ruhe, treu wie er ist. Vielleicht ist jeder Abschied ein Verlust, geht mir durch den Kopf. Weil etwas unwiederbringlich verlorengeht, selbst wenn wir unglücklich waren. Kann es denn so etwas wie guten Verlust geben? Und auch wenn jeder Aufbruch einen Zauber innehaben mag, beschleicht mich ein Verlustgefühl, so als hätte ich etwas vergessen, versehentlich zurückgelassen. Ein ums andere Mal grüble ich, gehe in Gedanken meine Habseligkeiten durch, prüfe ihr Vorhandensein und werde dennoch das Gefühl nicht los. Ich habe Jahre gebraucht, um zu begreifen, dass ich jedes Mal den Verlust von dem, was ich an diesem Ort für ein Mensch gewesen war, spürte. So als wäre ich selbst es gewesen, den ich da hinter mir vergessen habe. Schließlich, im Rückspiegel, kein Winken, habe nie jemanden hier gekannt außer Strand und Möwen. Auf Euch, murmle ich, weiß selbst nicht, ob ich nun diesen Ort, oder ihre Eltern meine. Ihre Eltern, die ich kaum kannte und doch nie vergessen hatte, sie immer einmal wiedersehen wollte, schlicht der Erinnerung wegen. Ich weiß nicht, was genau mit ihnen ist; und hoffe, dass es nicht zu schlimm um sie steht. Teil wie sie von mir waren und sind; und ich es doch nie geschafft, nicht übers Herz gebracht habe, jene kleine Welt zu betreten, die ich bei mir trug, ohne dass ich tatsächlich ein Teil von ihr sein sollte.
Ich mochte, was Du einmal über die Zeit geschrieben hattest, ich weiß nicht, irgendwann in einem Herbst vor zahlreichen Jahren. Dass Du Dir manchmal wünschtest sie würde stillstehen. Stillstehen, wenn Du es tatst. Ich habe darüber nachgedacht, wieder und wieder. Ich glaube sie tut es sogar, stillstehen. Wenn wir alleine sind, allenfalls von jemandem begleitet, mit dem wir schweigen können. Wenn wir dann still sind, und lauschen, dann geschieht vieles um uns herum aber mit Zeit hat es nichts zu tun. Für einen Moment, bis ein anderer zu uns hereinbricht oder wir selbst es sind, die etwas sagen, Stille und Schweigen durchbrechen, das Unbekannte vertreiben, steht sie still. Bis sie wieder zu laufen beginnt, aufholt und dann wieder gleichmäßig vergeht, fast dahintröpfelt. Wir können uns ausklinken, nicht lange vielleicht, aber möglich ist es gewiss.
Vom Stillstehen, 2022/03/26
Kapitel III | Das Haus am anderen Ende der Welt
Ich bin später einmal, da kannten wir uns längst nicht mehr, allenfalls in Gedanken, ein-, zweimal etwas schüchtern an ihrem Haus vorbeigefahren, hatte flüchtig einen traurig-sehnsuchtsvollen Blick von der Straße hinüber zu den großen Bäumen geworfen. Eine Einfahrt, geschwungen am Bach entlang, gesäumt von Wiesen, darin ein Mittelstreifen, der, die Fahrspuren längst abgesunken, immer ein wenig am Unterboden kratzte. Dahinter, das vielleicht jahrhundertealte Haupthaus, ein unmittelbar angrenzender Stall, zwei einsam danebenstehende, scheinbar einsturzgefährdete Scheunen, die bereits damals längst alle Tage hinter sich gebracht hatten. Außen herum, auf der Rückseite, eine Handvoll verkorkster Obstbäume, vielleicht schon zu lange nicht mehr geschnitten. Ein großer Walnussbaum, vielleicht auch eine Kastanie, mitten im Hof, sieht man heute selten, der im Wind immer bedrohlich schwankte, zumindest hatte ich mir das vorgestellt. Einer, der Herbst für Herbst den Hof mit seinem Laub und Nachwuchs bedeckte, wieder und wieder in guter, vielleicht auch mittlerweile längst verzweifelter Hoffnung. Damals gab es noch etwas Vieh, Kühe glaube ich. Dazu in Sichtweite wenige Äcker, die es zu bestellen galt, einen kleinen Gemüsegarten dazu. Die Haustüre war schwer zu erkennen, lag linkerhand, glich eher einem kleinen Scheunentor mit einer verborgenen Öffnung darin. Im Inneren über groben Boden hinweg, bedeckt von etwas Holz und Karton, durch die Dunkelheit hinein in die Küche, in der im alten Herd immer ein warmes Feuer brannte. Daneben, ein heller Wohnraum, schöne ältere Fenster mit Blick auf Land und Landschaft. Ich glaube ihre Oma hatte ihn bewohnt. Etwas zurück im Inneren, die Treppe hinauf, Holzdielen, die ebenso müde wie verratend knarzten, ein wenig wie im Film. Tiefe Dachträger, an denen ich mir gerne meinen Kopf anschlug. Das Innere, nicht schmutzig und doch ein wenig verwahrlost. Kümmern hätte man sich wohl etwas müssen. Wenn man Zeit gehabt hätte. Zeit. Als könnte man mit ihr, an der Seite, alles an und in der Welt berichtigen, wieder in Ordnung bringen. Und vielleicht kann man; nur ausgerechnet das nicht, was zwischen zwei Menschen ist. Und vor allem: haben werden wir sie nie. Nie genug von ihr. Nur deshalb sind wir vielleicht. Bei meinem zweiten und letzten Besuch, als wir beide längst keine Zeit mehr hatten, betrat ich das Haus nur flüchtig, grüßte, versuchte die höflichen Fragen der Mutter, die zwar nett und doch reserviert war, zu folgen und zu beantworten. Ihr Dialekt, er hatte mir Schwierigkeiten bereitet. Ich kam mir dabei immer etwas blöd vor, dabei konnte ich doch eigentlich gar nichts dafür. Ich mochte sie sofort und wusste doch von ihr, dass sie mich für den Falschen an der Seite ihrer Tochter hielt. Ich glaube sogar sie wusste, dass ich es wusste. Und Recht, Recht sollte sie ja letztlich auch behalten. Ein Sommertag, kurz nach einem kräftigen Gewitter, das mich an einem unserer früheren Lieblingsorte überrascht hatte, mich durchnässte und ich doch seltsam ausgelassen, etwas lachend durch den Regen zu einem nahen Unterschlupf gerannt war. Dieser Sommerregen, diese plötzliche Ausgelassenheit, war der Grund, dass ich es überhaupt wagte schließlich noch bei ihr vorbeizusehen. Wir streiften gemeinsam ums Haus, ihr Vater mit der Sense beim Mähen der Wiese, sahen Katzen, über die sie sich immer ärgerte, weil sie im Haus und Esszimmer umherstreunen durften. Zusammen über alte Bahngleise, ein Reh, das im hohen, ausgetrockneten Gras vor uns floh. Ausgerechnet vor uns beiden. Wer hätte wissen können, dass es wirklich das letzte Mal sein würde, nachdem sie schon so oft Lebewohl gesagt hatte, dass ich dabei längst nichts mehr fühlte, nur auf Einsamkeit wartete und dass sie vielleicht doch zurückkehren würde. Zurückkehren, so hatte sie es genannt. Als könnte man das, als wäre ausgerechnet ich jemand oder etwas, ein wenig wie ein Ort, zu dem man überhaupt zurückkehren könnte. Hatte oder wollte sie nicht verstehen, dass bei uns die Zeit und auch wir Menschen nur eine Richtung kennen? Immer weiter entfernt. Ferneinander, habe ich das einmal genannt. Und manchmal fragte ich mich, wieso es uns Menschen immer fort, nicht zueinander trägt. Denn anders hatte ich es nie erlebt. Ein wenig wie Lebenslinien auf einer Handfläche oder die Umlaufbahnen von Planeten. Klar zu erkennen und meist doch auf immer parallel zueinander verlaufend. Bahnen, die sich, selbst dann, wenn sie sich für einen kurzen Moment geschnitten hätten, niemals wieder aufeinandertreffen würden oder schlicht ungemein viel Zeit dazwischen liegen würde. Ich glaube, wenn überhaupt, hätten wir uns vielleicht neu erfinden können. Ähnlich vielleicht, das schon, und doch niemals gleich. Wir beide spazierten in unseren Zwanzigern, so als wären wir gute zehn Jahre jünger, immer schon gewesen oder geblieben, nur dass wir uns damals nicht gekannt hatten und nun auf- und nachholen wollten, was früher nicht möglich war. Unweit einiger Birken blieben wir für einen Moment stehen. Ich blickte zurück und fragte mich für einen Moment, wie es wohl wäre hier zu leben, zu arbeiten, sich erschöpft und verschwitzt im Garten unter dem kühlen Wasser einer Regentonne abzuduschen, an einem schlichten Tisch am Sommerabend sitzen, vespern, Abend, Dämmerung und Grillen oder vielleicht einer Erzählung oder witzigen Anekdote zu lauschen. Jemand für ihren kleinen Bruder sein, der, so schien mir, manchmal einen Gleichgesinnten, einen zum Reden brauchen könnte. Stumm, wie ihr Vater meist zu anderen gewesen war. Nicht reden zu können, sich nicht mitteilen zu können selbst dann, wenn es am Wichtigsten wäre, hatte sie wohl von Zuhause übernommen. Gegen dieses Unbekannte zwischen uns beiden hatte ich oft angekämpft. Anfangs noch mit Fingerspitzengefühl, später dann immer öfter mit Wut und Enttäuschung. Ich malte mir aus, wie es gewesen wäre mit ihr nach oben zu verschwinden, ihren Kopf auf meiner Brust ruhend zu spüren, ihrem Atmen zu lauschen. Darüber wie dahinter, vielleicht sogar ein weiterer kurzer Sommerregen, der vor den Fenstern niedergeht. Einen, den man riechen kann, bevor er überhaupt da ist. Dieser unverwechselbare Duft von Sommerregen auf Asphalt und Wiesen, aber auch der Welt. Einer, der Träume und Einsamkeit aus Welt und Himmel spült. Und auch ihr Duft, nicht anders wie Sommerregen. Ebenso nicht zu beschreiben und doch einzigartig und damit immer zu unterscheiden. Kurz darauf, auf der alten Eisenbahnbrücke, hielten wir erneut inne. Sie auf den breiten, etwas morschen Schwellen stehend, ich übers Geländer balancierend, sagte sie, dass sie sich neu verlieben wolle, es kein Uns mehr gäbe oder gar geben würde. Ich schluckte, sagte fast trotzig, vielleicht doch den Tränen nahe, dass mir das gleich sei; ich würde sie ja schließlich trotzdem mögen. Sie, von der ich wusste, dass ich sie ein Leben lang vermissen würde. Schon als ich sie das erste Mal sah, am Hauptbahnhof stehend. Jener Ort, an dem wir uns eigentlich immer sehen wie verabschieden sollten. Vielleicht war mein Leben weniger in der Ferne, als an Hautbahnhöfen verlaufen. Oder hätte es sollen. Umarmt hatte sie mich wenig später, neben dem Walnussbaum stehend, doch da habe ich schon nichts mehr gefühlt, war bereits fort. Vor und hinter meinen Augen fielen Traum und Hof längst zusammen, lösten sich auf, bis um mich herum nichts blieb. Das Dach senkte sich, die Ziegel, voller Moos und ersten Sprüngen, stürzten erst in der Mitte, dann schließlich an den Seiten herab, zerbrachen. In einer Sturmnacht knickte das Dach schließlich ganz ein, alte Holzträger kamen zum Vorschein, der Regen, dem wir immer gelauscht hatten, fiel nun ungebremst hinein, in all die Räume, in denen ich nie lebte. Nichts blieb, außer mir selbst. Man zog sich zurück, von einem Raum zum anderen, bis irgendwann nur noch ein einzelnes Zimmer blieb. Ein mehr oder weniger geordneter Rückzug, anfangs noch fest daran glaubend alles würde schon irgendwie wieder gut werden. Später dann an gar nichts mehr glaubend. Ein wenig wie mit dem Herzen, der Seele. Ich fuhr davon, so wie ich es immer tat, sah sie noch für einen Moment im Rückspiegel dort alleine neben dem großen Haus stehen. Dann war sie verschwunden, bis heute Morgen. Dass sie es war, die Lebe wohl sagen und auch noch dabei weinen konnte, hatte mich schon damals furchtbar aufgeregt.
Gefehlt hattest Du mir bereits von der ersten Sekunde an, wie ich Dich damals sah. Am Hauptbahnhof wartend, Gleis 9, kalt und sonnig war es gewesen, bis der Zug endlich einfuhr. Du bist etwas weiter hinten ausgestiegen, hast Dich suchend und ein wenig unsicher nach mir umgesehen. Bis heute habe ich nicht verstanden, wieso Du die weite Reise ins Ungewisse, und zu mir, überhaupt auf Dich genommen hattest. Kaum gekannt hatten wir uns da. Dann hast auch Du mich gesehen, wir lächelten etwas verlegen, und ich hatte gewusst, dass ich Dich ein Leben lang mögen, und ungemein vermissen werde.
Vom Vermissen, 2021/07/17
Kapitel IV | Unterwegs in der Nacht
Wie viele Male ich nun schon in genau dieser Richtung unterwegs gewesen bin, weiß ich selbst längst nicht mehr. In leichten Variationen und doch über weite Teile stets dieselbe Strecken. Anfangs geschwungener Landstraßen entlang, links und rechts der Straße Bäume, die im Frühling zu den Fenstern hinein duften, spät am Abend dunkler als die Nacht zu sein scheinen. Schließlich, die Ölfackeln von Sines am Horizont. Ein ums andere Mal, so zerstörerisch es sein mag, schlicht beeindruckend. Im Anschluss hunderte Kilometer durch Ödland, um diese Zeit nichts als vereinzelter Lastwagen unterwegs, mit denen ich das Endlos-durch-die-Nacht-fahren gemeinsam habe und mich ihnen vielleicht deshalb seltsam verbunden fühle. Als wäre ich einer von ihnen. Sie, die mir ab und an signalisieren, dass vor ihnen frei wäre und ich nun gefahrlos an ihnen vorüberziehen könne. Immer weiter in die Nacht, und mich selbst hinein. Zwei Seiten der Müdigkeit habe ich erlebt. Die, bei der die Zeit plötzlich stillstehen zu scheint, kaum ein Kilometer oder Minuten vergehen mag, bis mir das Sein nahezu unerträglich ist. Und die, bei der ich plötzlich begreife, wie weit ich schon gekommen bin, ohne mich daran erinnern zu können wie ich überhaupt hierher gelangt bin. So, als wäre nicht ich, sondern ein anderer am Steuer gesessen, hätte uns beide zielsicher und wortlos durch die Nacht und Ferne gefahren. Wer, wenn nicht ich selbst, kann das gewesen sein? Doch auch Müdigkeit vergeht, habe ich irgendwann gelernt. Man muss nur in sie hineinfahren, auf die Morgendämmerung und den nächsten Sonnenaufgang warten, einfach nicht anhalten. Es stimmt nicht, dass man vom Sekundenschlaf übermannt werden würde. Er kündig sich an. Eine ungeahnte, unendliche Müdigkeit, die von uns Besitz ergreift, bis all das Reden, die Frischluft und Musik nicht mehr zu helfen vermögen. Dann sind wir weg, und erwachen mit einem Schreck, auf einmal für Sekunden glasklar. Doch da ist keine Verwunderung oder Angst, sondern ein Wiedererkennen, wie bei einem alten Freund. Und ich verlasse mich auch dieses Mal darauf, dass er sein wird, was er verheißt: Sekundenschlaf. Wenn ich schon kein Leben hatte, kann ich auch den Verlust einzelner Sekunden verschmerzen, oder? So spät in der Nacht, manchmal für Minuten weit und breit kein anderer Mensch. Als wäre unentdeckt die Welt untergegangen, nichts als mir selbst darin verblieben. Ist das nicht seltsam, dass wir, wenn wir auf diese Weise alleine unterwegs sind, ohne Dazwischen sind? Nur ein Anfang und Ende? Wir brechen auf, verlassen einen Ort und sind, wie in einer Kapsel, plötzlich ebenso unsichtbar wie unbestimmt. Fahren unerkannt dahin. Bis wir ankommen, an irgendeinem Ort, und gesehen, vielleicht sogar wiedererkannt werden. Plötzlich gibt es ein Davor und Danach. Und uns selbst, und die Zeit. Sie beginnt zu laufen, weiterzulaufen und im Bruchteil einer Sekunde holen wir auf, was vergangen ist, als wir alleine gewesen waren. Und wenn wir nicht und nie gesehen werden, haben wir vielleicht nicht einmal ein Anfang und Ende. Kein Blick, vor dem wir uns fürchten müssen, niemandem, dem wir uns erklären müssen. Nichts für einen anderen sein, nichts für uns selbst sein. Vielleicht ist das allein Zauber und Magie des Unterwegsseins.
Hieße miteinander zu schreiben nicht, sich zu erzählen, dass man an- und voneinander gedacht und geträumt habe? Wären Briefe, vor allem aus der Ferne, damit nicht immer auch ein Wagnis, vielleicht sogar Geständnis? Darin, ein wenig verborgen und insgeheim doch sichtbar, die Frage und innige Hoffnung, dass all das auf Gegenseitigkeit beruhen möge. Wenn ich Dir geschrieben hätte, hätte ich mich damit gleichsam aus dem Fenster gelehnt, mich hinein in unbekanntes Terrain begeben. Und während Du von alledem weiter unbemerkt Dein Leben gelebt hättest, mein Brief unterwegs zu Dir gewesen wäre, ungewiss, ob er Dich und sein Ziel überhaupt erreichen würde, wäre mir doch so gewesen, als wären wir beide wieder, ganz wie in früheren Tagen, in stiller Vertrautheit zusammen. Briefe schienen mir immer mehr als ein Gespräch zu sein. Ich konnte und wollte träumen darin. Gleich, ob von Dir, dem Leben oder der Sehnsucht. Ich glaube diese wenigen Tage, in denen ich auf eine Antwort gewartet und es doch nicht getan hätte, wären mir die liebsten gewesen. Schlicht glücklich darüber, etwas aus meinem Leben erzählt zu haben. Aber weil ich wusste, dass es das ist, was ich nicht darf, schwieg ich. Nur, ich habe sie geschrieben, diese Briefe. Doch es waren Briefe ohne Briefe zu sein, weil ihnen das, was einen Brief ausmacht, immer fehlte: unterwegs zu sein. Ich legte sie stattdessen still auf einen großen Stapel zu meiner Rechten; dort wo all die anderen nie gesagten Worte auf ihr trauriges Vergessen warteten. Du hast einmal gesagt, wenn es Worte gäbe, die etwas hätten ändern können, wäre ich es gewesen, der sie gefunden hätte. Vielleicht war es tatsächlich das, wonach ich gesucht hatte. Aber ich glaube jene, denen wir das meiste zu sagen haben, interessiert es am allerwenigsten; und den Wenigen, die uns zuhören würden, haben wir nichts zu erzählen.
Vom Miteinander schreiben, 2022/02/15
Kapitel V | Zwischenhalt bei Bekannten
Woher kommt der Glaube, dass alle Menschen, denen wir begegnen und begegnen werden, doch die falschen sind, geht mir durch den Kopf, irgendwo in der endlosen Mitte Frankreichs. Und wieso glauben wir andererseits, dass wir einem anderen etwas zu erzählen hätten? Etwas, dass dieser nicht nur hören wollte, sondern auch etwas damit anfangen könnte? Und vor allem, wieso bin ich dann jetzt unterwegs, ausgerechnet zu einem dieser Menschen? Oder vielleicht ja gerade diesem einen Menschen, wegen dem mir all die anderen Menschen so zu sein scheinen. Noch könnte ich umdrehen. Ganz so, wie ich zu Beginn einer jeden Reise voller Zweifel war. Kurz vor und nach dem Aufbruch, in umgekehrter Richtung. Angst hatte ich davor jeden Tag in der Ferne ohne Ablenkung nur mit mir selbst verbringen zu müssen. Ausgerechnet ich, der doch nie etwas anderes gemacht hatte. Ich könnte umdrehen, sicher, doch ganz gleich wo ich dann auch wäre, wäre doch noch immer ich selbst. Vielleicht ist das auch das Wesen der Einsamkeit. Wie Pessoa, der einst schrieb, in allem wäre noch immer er selbst. Stattdessen halte ich für einen Moment rechts an, schnaufe tief durch, einer der Orte ohne Namen, durch die ich hin und wieder komme, einzelne Bäckereien oder Tankstellen, die ich ansteuere, mich für die Weiterfahrt eindecke. Lauter Angestellte, die mit den Jahren scheinbar still und heimlich ein fester Bestandteil von mir und meinem Leben geworden sind. Ganz ohne, dass sie davon wissen könnten. Ich erinnere mich an sie; doch sie sich wohl kaum an mich. Für mich sind sie Einzelne, etwas Bestimmtes, das ich mit mir verknüpfe; doch bin ich nur einer von vielen, der gesichtslosen, immergleichen Kundschaft, die Tag um Tag ihre Läden für einen Augenblick betritt. Manchmal hatte ich schon mit dem Gedanken gespielt ihnen mitzuteilen, dass ich mich an sie erinnere und mich freue sie wiederzusehen. Doch getan habe ich es nie, spreche ja genau genommen nicht einmal ihre Sprache. Vielleicht ist es das Schicksal aller Menschen, die zwar geliebt haben aber niemals wiedergeliebt worden sind, sich an Menschen zu erinnern, von denen man vergessen wurde. Ich weiß auch gar nicht wie es ist jemanden zu verlieren, der einem nahesteht. Außer bei ihr, vielleicht. Meine Eltern leben noch. Gealtert, das sicherlich, aber noch immer sind es Eltern. Längst in dem Alter eine eigene Familie gründen, praktisch beinahe schon darüber hinaus, bezeichne ich sie gedanklich, wenn ich doch einmal nach Familie gefragt werde, schlicht als meine elternseitige Familie. Sie, die mir ganz ohne mein Zutun an die Hand gegeben wurden. Eltern, Geschwister. Mehr Familie hatte ich nie. Andere haben nicht einmal das. Vielleicht hat das auch gereicht. Und wie es um ihre nun steht, weiß ich nicht. Vielleicht war es ein Auto- oder Arbeitsunfall. Aber ich hoffe, dass sie nicht da war, als es passierte. Dass sie sie vielmehr, was auch geschehen wird, in guter Erinnerung bewahren kann. Als Eltern einfach Eltern waren. Schwierig vielleicht; und doch Eltern. Daran führt kein Weg vorbei; auch meiner nicht allem und jedem aus dem Weg gehen zu wollen. Vielleicht ist diese Reise überhaupt das erste Mal, dass ich nicht davonlaufe, sondern mich etws stelle. Weil ich nichts mehr von ihr wusste, habe ich mir immer vorgestellt, dass sie längst verheiratet wäre, schon kurz darauf, nachdem wir getrennter Wege gegangen waren. Vielleicht ein, zwei eigene Kinder und ein liebevoller Partner, vermutlich der Kindsvater, der mit beiden Beinen fest im Leben steht. Dazu eine größere, geräumigere Wohnung als damals. Eine ruhigere Gegend der Stadt; weniger zentral, dafür aber etwas Grün und Stille ums Haus herum. Ein gemeinsames, eigenes Heim, ein Zuhause. Dass sie sich an früher, und uns, erinnerte, konnte ich mir kaum vorstellen. Vage allenfalls, eine kurze, verspätete Jugendliebe. Unklar, weswegen man einander überhaupt gefunden hatte. Vielleicht aus keinem bestimmten Grund; oder allen Gründen der Welt. Damit es am Ende genau so ist, wie es nun ist. Wenn wir uns sehen sollten, ich würde nicht danach fragen. Ein Baguette, zwei Croissants nehme ich in Empfang, warm noch, früh am Morgen. Ich lächle zum Abschied so gut mir das gelingt, trete hinaus, nehme Platz, zurück auf der Straße in Richtung Morgendämmerung und Sonnenaufgang. Die Wahrheit ist: ich habe mein ganzes Leben geglaubt, dass wenn ich schon einsam bin, wenigstens unterwegs und in der Ferne sein zu müssen. Als wäre das ein Ausgleich; ein angemessenes Leben. Aber stimmt schon, vielleicht ist es das. Aber ich weiß gar nicht woraus dieser Glaube eigentlich entstanden ist. Vielleicht ist am Ende auch jedes Leben gleich gut, gleich ob unter Menschen, oder niemanden. Nur, wenn ich so sicher wäre, wäre ich jetzt unterwegs? Vielleicht will ich schlicht in Erfahrung bringen, ob ich etwas fühlen kann, nach all der Zeit. Ob wir tatsächlich so vertraut sind, wie ihre Stimme klang. Ich gehe die Worte in Gedanken durch, kaum zehn sind es gewesen. Genügt das, um einen Menschen zu mögen, zu wissen wer er damals war und heute noch ist? Vielleicht? Manchmal? Vor mir, nach einer Weile, die dritte Grenze, die ich überqueren muss. Der Beamte winkt mich heraus, irgendetwas muss ich über die Jahre an mir haben, dass sie misstrauisch werden lässt. Sehe ich wie ein Schmuggler, Kurier aus? Vielleicht ist die Besonderheit, das an mir nichts Besonderes ist. Mit diesem alten Auto, sogar älter als ich es bin. Er sieht herein, mustert mich und mein vollgestopftes Zuhause. Für andere ein Chaos, für mich meine Ordnung. Was sieht er, was denkt er nun? Doch er sagt nichts, nickt nur vage. Harmlos, kein besonders nettes Attribut. Ich beschleunige, sehe im Rückspiegel trotzdem nach, ob mir vielleicht doch noch jemand folgt. Noch weit mehr als tausend Kilometer, sagt das Navi. Aber was sind Entfernungen in Kilometern schon?
Und wenn ich Dich nun vergessen hätte? Ganz so, wie Du mich? Wenn ich nicht um die halbe Welt gereist wäre, tausende Kilometer und Jahre zwischen Dich und mich gebracht hätte, nur um noch immer an Dich zu denken, mich Deiner zu erinnern. Wenn ich einfach ebenso weitergegangen, gelebt und geliebt hätte. In andere Arme hätte ich mich hineingelegt, den Geruch eines anderen Menschen eingeatmet und als Sehnsucht im traurigen Alltag bei mir getragen. Ich weiß nicht, ob ich nur nicht wollte; oder nicht konnte.
Vom Vergessen, 2022/02/26
Kapitel VI | Abenddämmerung
Ich biege zögerlich von der Hauptstraße ab, es ist spät am Abend, meine Augen brennen ein wenig, der Rücken schmerzt mir von der langen Fahrt. Etwas Nebel steht bereits auf den Wiesen, mein Scheinwerferlicht wandert langsam entlang des Weges. Mein Herz klopft, hat es immer in ihrer Nähe, wird es immer. Ich rolle voran, es ist nicht ganz wie in meiner Erinnerung. Der Weg beschreibt statt einem Bogen ein weites S, Tannen vor dem Haus, nicht Kastanien oder Walnussbäume, nur eine statt zwei Scheunen anbei. Ich habe einmal gelesen, wenn wir unsere Erinnerungen bewahren wollten, dürften wir uns gar nicht erst an sie erinnern. Müssten sie stattdessen still in uns vergraben, wie Träume, dürften nicht einmal daran denken uns an sie zu erinnern. Denn mit jedem Erinnern, mit jedem Versuch die Vergangenheit wiederaufleben zu lassen, wird aus dem, was da einst tatsächlich war, immer ein wenig etwas anderes. Aber vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Wenn die Menschen, die wir in Gedanken bei uns tragen, sich ebenso verändern, wie wir selbst es tun. Auf dass wir immer jemanden an unsere Seite haben. Auf dem morschen Tor kommt mein Licht schließlich zum Stehen, der Motor verklingt, stattdessen Stille, erstes, verhaltenes Vogelgezwitscher. Keine Kühe, kein Hund. Nicht mehr, oder schon immer, frage ich mich. Ich bleibe sitzen, überlege, ob ich einfach so nach drinnen gehen soll, sehe wartend und doch nicht wartend zum Fenster hinaus. Das Haus liegt im Dunkeln und für einen Moment ist da nichts, und doch scheint alles möglich. Heute kein Meer vor mir, keine Küste, kein Ödland, nur das morsche Tor. Noch könnte ich auch wieder fahren, behaupten es sei etwas dazwischengekommen – oder einfach schweigen, so wie wir das all die Jahre getan hatten. Hatten wir doch, oder? Geschwiegen, statt zu erzählen. Sich einander fern, statt nahe zu sein. Ging es wirklich darum? Das Tor geht einen Spalt auf, Du stehst darin, im fahlen, letzten Dämmerungslicht. Von Innen fällt ein wenig Licht auf Deine Schuhe, Dein Gesicht halb im Dunkeln. Aber nein, Du bist kein Schatten. Allenfalls mein eigener. Ob gut oder schlecht, weiß ich noch immer nicht. Einholen kann man seinen eigenen Schatten nicht; und doch bleiben wir auf immer verbunden. Ich hoffe nur nicht mit den Füßen, mit denen wir davonlaufen, sondern auch dem, was wir in uns tragen.
Vielleicht nimmt deswegen alles diese Bahnen, diesen Lauf, weil wir auf immer unserem Schatten hinterherlaufen. Und was sind andere Menschen, wenn nicht die Schatten, die wir selbst werfen. Unsere Vorstellungen, Träume und Sehnsüchte, die wir, weil wir sie nicht in uns selbst finden können, in all den anderen suchen. Vielleicht, vielleicht ist all das vergeblich, von Vornherein zum Scheitern verurteilt. Vielleicht aber auch nicht. Ich steige aus, gehe einige Schritte in Deine Richtung. Schritte, die nicht wenige Meter, sondern in Wahrheit zehn Jahre sind.
2022/03/30